Siegeszug von Mitterrands Gnaden

■ Mit 15,0 Prozent erzielte der Frontmann der Rechtsextremen, Jean-Marie Le Pen, Erfolge auch in den Hochburgen der Sozialisten

In den achtziger Jahren lautete die Parole: Warnung vor dem Rechtsextremismus. Wann immer Jean-Marie Le Pen den Mund aufmachte und gegen Immigranten, die EU oder die „Altparteien“ wetterte, kam er in die Schlagzeilen – und erntete echte moralische Empörung. Doch das half nichts gegen das Erstarken des 66jährigen Bretonen, dem die Präsidentschaftswahlen von 1988 14,38 Prozent brachten. Seither wird der Rechtsextreme wie ein ganz normaler Politiker behandelt: Er tritt in Talk-Shows auf, wird von beinahe allen Printmedien interviewt und durfte sogar ungestört weiter Wahlkampf machen, nachdem Plakatekleber seiner Front National vor einigen Wochen in Marseille einen Musiker erschossen hatten, der das Pech hatte, eine schwarze Hautfarbe zu haben.

Mit seinen landesweit 15,0 Prozent ist Le Pen zum viertstärksten Politiker Frankreichs geworden und gleichzeitig zu einer entscheidenden Figur zwischen den beiden Wahlgängen. Seine Wahlempfehlung will Le Pen erst am kommenden Montag bekanntgeben, aber bereits gestern bezeichnete der Rechtsextreme den Sozialdemokraten Jospin als „respektabel“. Sein Haß auf Chirac ist landesweit bekannt, seit der Pariser Bürgermeister vor seiner Wahl warnte.

Die politische Verantwortung für die Senkrechtkarriere Le Pens geben dessen Gegner dem scheidenden sozialistischen Präsidenten François Mitterrand. Um seine konservativen Gegenspieler zu schwächen, hatte der das (inzwischen wieder abgeschaffte) Verhältniswahlrecht eingeführt und der Front National so 1986 die Wahl in die Nationalversammlung ermöglicht. Auch auf anderen Ebenen machte der Sozialist den Rechtsextremen salonfähig: Er empfing ihn mehrfach im Élysée- Palast und sorgte dafür, daß ihm „angemessene“ Redezeiten im Fernsehen eingeräumt wurden.

Le Pens traditionelle Hochburgen liegen in Elsaß, wo er dieses Mal mit 25,4 Prozent stärkster Kandidat wurde, in Lothringen, wo er auf über 21 Prozent kam, und an der Côte d'Azur, wo er durchschnittlich um die 22 Prozent gewann und in verschiedenen Orten, darunter Nizza, stärkster Kandidat wurde. Neu ist bei diesen Wahlen, daß Le Pen auch in den Hochburgen der Sozialistischen Partei, in dem von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen einstigen Minengebiet an der belgischen Grenze, enorme Erfolge hat und an mehreren Orten die Sozialisten überflügelte.

Landesweit gewann die extreme Rechte – Front National und der rechtsnationale Kandidat Philippe de Villiers – knapp 20 Prozent der Stimmen. Kein Wunder, daß Le Pens Chefideologe gestern in der üblichen verächtlichen Diktion seiner Partei erklärte: „Wenn der Parasit de Villiers nicht gewesen wäre, wäre Le Pen vielleicht jetzt im zweiten Durchgang.“