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Thallium und Spitzenhäubchen

■ Eine 68jährige Frau versuchte, ihren senilen Ehemann mit Rattengift im Schokopudding zu vergiften / Altersbedingter Mangel an Unrechtsbewußtsein

Daß Ehezwistigkeiten auch noch in fortgeschrittenem Alter ausgefochten werden, zeigte gestern die Eröffnung des Prozesses gegen die 68jährige Ursula F. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die konfus wirkende Frau, in der Zeit zwischen dem 4. und 18. Februar 1994 ihren Ehemann Gerhard F. in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik besucht und ihm Schokopudding mit Rattengift verabreicht zu haben. „Nur durch die Entdeckung der Straftat erfolgte keine weitere Vergiftung“, sagte der Staatsanwalt.

Offensichtlich aus Ärger darüber, daß ihr am Morbus Alzheimer dahinwelkender Mann die Annahme der für ihn mitgebrachten Speisen verweigert hatte und statt dessen aggressiv auf Ursula F. reagierte, griff sie zu „Zelio Giftkörnern“, um den alten Mann um die Ecke zu bringen. Doch die thalliumversetzte Trennungsgabe verfehlte ihre Wirkung. Der 69jährige erlitt zwar lebensgefährliche Vergiftungen, konnte aber Dank der Aufmerksamkeit des Pflegepersonals noch gerettet werden.

Ursula F. hat bei der polizeilichen Vernehmung eingeräumt, ihren Mann mit dem Thallium-Pudding gefüttert zu haben. Sie habe jedoch nur versucht, gab sie zu Protokoll, ihn mit dem Rattengift ruhigzustellen. Sie selbst will von dem Pudding gegessen haben, ohne Schaden zu nehmen. Ihre Behauptung wurde allerdings durch eine medizinische Untersuchung widerlegt.

Während Ursula F. vor der Kammer gestern keine Aussage machen wollte und zwischen Zickigkeit und höflichem Zuhören hin- und hergerissen zu sein schien, stellte der Staatsanwalt klar, daß sie die Mordversuche im Zustand altersbedingter Schuldunfähigkeit begangen habe. Nur deshalb, so der Ankläger, habe man sie im Mai 1994 in die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik einweisen lassen.

Eine Zeugin, die in der Klinik als Ärztin arbeitete und für die Betreuung des vergifteten Ehemannes zuständig war, schilderte anschaulich, wie sich im Februar 1994 der Allgemeinzustand von Gerhard F. plötzlich verschlechterte. Der ohnehin nicht mehr ansprechbare Mann, durch die altersbedingte Demenz längst ein Pflegefall, habe in dieser Zeit häufiger epileptische Anfälle gehabt. „Er hat häufig Muskelzuckungen gehabt und ist gegen Wände gelaufen“, erzählte die Ärztin. Am 12. Februar habe das Pflegepersonal der Klinik bemerkt, daß der alte Mann büschelweise Haare verlor. Den Medizinern waren diese Symptome zunächst rätselhaft. Erst der wegen des Haarausfalls zur Behandlung hinzugezogene Dermatologe stellte an den Haaren toxische Störungen fest. Die Diagnose lautete: Vergiftung durch Thallium, Arsen und Quecksilber. Die später im Blut festgestellte Dosis des im Rattengift enthaltenen Thalliums sei in anderen Fällen tödlich gewesen, sagte die Stationsärztin.

Schon Tage und Wochen vorher waren der Ärztin die eigenartigen Bemühungen der Angeklagten aufgefallen, ihren meist unwilligen Ehemann mit Essen vollzustopfen. Mit Grausen erinnerte sie sich, wie Ursula F. mit einer riesigen Schere an den Haaren ihres sich sträubenden Gatten rumgeschnitten habe. Nachdem die Ärztin Ursula F. die weitere Fütterung des kranken Mannes untersagt hatte, weil Gerhard F. durch die dauernde Vergiftung bereits erheblich geschwächt war, flog der Mordversuch der alten Frau auf. „Sie hatte in ihrer Handtasche einen Becher mit Schokoladenpudding stehen, mit dem sie ihren Mann fütterte“, erinnerte sich die Zeugin. Als sie von Ursula F. die Herausgabe des mitgebrachten Puddings verlangte, verhielt sich die Frau auffällig nervös. Wenig später entdeckten Mitarbeiter des Pflegepersonals auf der Bettdecke von Gerhard F. violette Getreidekörner, die der Mann ausgespuckt hatte.

Der Verteidiger von Ursula F. sagte am Ende des ersten Verhandlungstages, seine Mandantin habe aufgrund ihrer eigenen Senilität kein Unrechtsbewußtsein gehabt. Sie sei sich der Konsequenz ihres Handelns vermutlich nicht bewußt gewesen.

Der Prozeß wird am Donnerstag fortgesetzt. Peter Lerch

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