Brauner Sieg im alten roten Gürtel

Frankreichs rechtsextreme Front National ist mit ihrem Kandidaten Jean-Marie Le Pen in die einstigen Arbeiterhochburgen von Sozialisten und Kommunisten eingedrungen  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Der Sozialist Lionel Jospin ist Sieger, aber die französische Linke insgesamt ist schwach. Selten in der Geschichte der französischen Republik hat sie so schlecht abgeschnitten wie beim ersten Durchgang zu den Präsidentschaftswahlen am vergangenen Sonntag. Gemeinsam machten ihre vier konkurrierenden Kandidaten 40,6 Prozent – von der Sozialistischen Partei (23,3) über die kommunistische (8,7), von den Trotzkisten von Arlette Laguiller (5,3) bis hin zu den linken Grünen (3,3). Der Rest der Stimmen (mit Ausnahme von 0,3 Prozent, die der beinahe unbekannte Jacques Cheminade, Kandidat einer aus den USA finanzierten rechten Sekte, gewann) ging an die vier Männer der Rechten – von den beiden Neogaullisten Jacques Chirac (20,7) und Edouard Balladur (18,5) über den Nationalisten Philippe de Villiers (4,8) bis hin zu dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen (15,1).

Ungewöhnlich niedrig war dieses Mal die Wahlbeteiligung: 21,37 Prozent der auf Wählerlisten registrierten Franzosen gaben ihre Stimme erst gar nicht ab. Seit den Präsidentschaftswahlen von 1969, als sich im ersten Wahlgang 22,41 Prozent der Wähler enthielten, ist das die höchste Zahl von Enthaltungen, deren Ziffer gewöhnlich zwischen 15 und 18 Prozent schwankt. Zusammen mit denjenigen Wählern, die ungültige Stimmzettel abgegeben haben, plus den 7,5 Prozent der Wahlberechtigten, die sich nie in die Wählerlisten haben eintragen lassen, ergibt sich eine Zahl von 30 Prozent der Franzosen, die nicht vom Wahlergebnis repräsentiert sind. Die traditionellen politischen Lager haben sich in den vergangenen Jahren völlig verändert. Allen voran die Sozialistische Partei, die sich zu einer Mittelstandspartei entwickelt hat – mit wenigen Arbeitern und Arbeitslosen, dafür aber vielen Lehrern, mittleren und höheren Angestellten und Führungskräften unter ihren Wählern. In die Vakanz ist nicht etwa die Kommunistische Partei geschlüpft, sondern die rechtsextreme Front National, die heute Frankreichs erste Arbeiterpartei ist und bei diesen Wahlen in Gegenden Zugewinne gemacht hat, die nicht ihre traditionellen Hochburgen sind. 28 Prozent der französischen Arbeiter wählten die Front National. Und obwohl die zentralen Wahlkampfthemen ihres Kandidaten Le Pen nicht die Themen der sozialen Ausgrenzung – Arbeitslosigkeit, Sozialversicherung, Arbeitszeit – waren, sondern die Immigration und die Sicherheit, machte er seine Zugewinne doch gerade in klassischen Arbeiterregionen, die besonders hart von der Wirtschaftskrise betroffen sind.

In dem traditionell „roten Gürtel“ rund um Paris überflügelte Le Pen überall die Kommunistische Partei und schnitt auch noch besser ab als im nationalen Durchschnitt. Ein vergleichbare Entwicklung zeichnet sich in Frankreichs Nordosten ab, der klassischen Hochburg des französischen Sozialismus. In dem Gebiet zwischen der „roten Hafenstadt“ Le Havre und dem einstigen Revier an der belgischen Grenze belegt Le Pen an vielen Orten mit Ergebnissen um die 20 Prozent den zweiten Platz hinter der Sozialistischen Partei.

Der allseits als Überraschungssieger bezeichnete Sozialist Lionel Jospin holte seine besten Ergebnisse in den Großstädten. In 32 von ihnen wurde er bestplazierter Kandidat. Und trotz des schweren Erbes von 14 Jahren Mitterrand-Sozialismus schaffte er es in vielen Fällen, nah an das glänzende Ergebnis von Mitterrand bei den Präsidentschaftswahlen von 1988 heranzukommen.

Der zweite Mann im Endspurt, der Neogaullist Jacques Chirac, fand seine Wähler in ländlichen Regionen. Nur in Paris, wo er seit 1977 Bürgermeister ist, erhielt er die meisten Stimmen. Genau wie die anderen Kandidaten hat Chirac in seiner Heimatregion – in seinem Fall ist das die südwestfranzösische Corrèze – besonders gut abgeschnitten. Das alte Prinzip der regionalen Bindung hat sich im Paris-zentrierten Frankreich gehalten.