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Gut zu sehen, nicht zu stoppen

Teurer Transport mit perfekter Kontrolle: Der Castor rauscht ungebremst und ungehindert durch die überwachte Republik  ■ Von der Bahntrasse berichtet Reiner Metzger

Die große Reise beginnt melodramatisch wie ein Hollywood- Schinken. Montag abend, 20.15 Uhr, kurz nach der Tagesschau, senkt sich die Sonne in mildem Violett hinter den Pappeln der Rheinauen. Aus dem Tor des Atomkraftwerks Philippsburg schiebt sich ein Dutzend Polizisten auf braunen Wallachen durch die Ketten der Protestierenden. Einige Hundertschaften in Grün säumen die Bahngleise; der kurze Zug mit dem großen blauen Castor- Quader verläßt langsam das Werksgelände. Am kleinen Bahnübergang neben dem Tor drängen sich die Philippsburger. Ein paar markige Sprüche, als eine junge Demonstrantin abgeführt wird, ein bißchen Verwunderung bei einem graumelierten Fünfziger: „Ich hab' gar net gewußt, daß es so viel Polizei gibt.“ Aus ganz Baden sind die Einheiten zusammengezogen worden, und sie haben die zweihundert buntgekleideten Anti-Atomkraft- Menschen fest im Griff.

Die „geheime“ Route ist leicht zu ahnen

21 Uhr, Graben-Neudorf. Eine zweite Diesellok wird ans Ende des Castors gespannt. „Ein Aufschub aus technischen Gründen ist so ausgeschlossen“, sagt ein Einsatzleiter der Polizei. Die Frontfenster der Lokomotiven sind mit Gitterstäben geschützt, wie Berliner Polizeibusse am 1. Mai. Drei Waggons mit einer Spezialeinheit des Grenzschutzes und einem Kellner in weißem Jackett für die Bedienung der Kämpfer und Kämpferinnen komplettieren das Arrangement. Als letzte Sicherung fährt dem Troß ein zweiter Zug mit einem Gleisbau-Waggon voraus.

Die Reiseroute ist geheim, doch der Castor macht es seinen Verfolgern leicht. An jeder Brücke steht ein Polizeiwagen, oft sogar mit blinkendem Blaulicht. Wer diese Markierung verliert, kann sich am Himmel orientieren. Denn Helikopter suchen schwirrend die Gleise vor dem Zug ab. Kilometerweit weisen ihre roten Positionslichter den Weg. Um seine Gegner trotzdem abzuschütteln, verschwindet der Castor kurz nach zehn im Schienengewirr um Frankfurt am Main. Doch Greenpeace hat seine Späher überall, und so wird er sofort gesichtet, als er um Mitternacht in Hanau wieder auftaucht.

Auf der ICE-Strecke nach Fulda rast der 120 Tonnen schwere Strahlen-Tresor nach Norden. Ein Uhr ist es, als er durch den menschenleeren Bahnhof von Fulda rauscht; nur ein Rentner mit breitem Kreuz und grauem Vollbart schimpft auf „all die Chaoten“, wodurch die Bahnfahrt 55 Millionen Mark kostet. „Die gehören alle weggefangen“, brummt er. Ohne Aufenthalt rast der Castor nun durchs Mittelgebirge. Bebra – 01.37 Uhr, Kasseler Berge – nur eine halbe Stunde später. Keine Aktion behindert den Weg, keine Stahlseilwerfer stören die Wachen auf den Brücken in ihrer Blaulicht- Ruhe. Und Viertel nach drei, eine Stunde früher als offiziell geplant, fahren die Züge im Göttinger Bahnhof ein.

Die Kamerateams der Fernsehsender stehen erwartungsvoll auf dem Bahnsteig, denn hier soll das Zugpersonal wechseln. Doch der Troß wälzt sich weiter, bremst kaum ab. Die fünf Lokführer aus Karlsruhe können sich erst in Uelzen in der Lüneburger Heide ausruhen. Die Sprecher der Göttinger Ordnungskräfte tun überrascht, sind aber heilfroh. Denn für halb vier haben sich einige hundert Atomkraftgegner vor dem Bahnhof verabredet. Sie kommen eine Viertelstunde zu spät.

Der Castor dagegen ist seinem Fahrplan voraus. Eineinhalb Stunden zu früh steht die Karawane vor dem Bahnhof Uelzen – nach über 500 Kilometern nur noch 40 von der gekühlten Zwischenlager- Halle entfernt. 25 blockierende Frauen und Männer auf den Gleisen sind von ein paar Dutzend GrenzschützerInnen schnell abgeräumt. Dann steigen die fünf Lokführer aus. Schlecht rasiert und grau im Gesicht, aber mit einem verschmitzten Lächeln: „Das war meine spannendste Fahrt, aber auch 'ne teure“, sagt ein runder Badener.

Ein ängstlicher Polizist unter vielen folgsamen

Die Pendler am Bahnsteig warten gespannt, doch der Zug rührt sich nicht. Ein Schüler erzählt von festgenommenen Freundinnen und von den Trotteln, die vor zwei Tagen versucht haben, nachts auf dem Bahnhofsvorplatz Autos zu knacken. „Die waren natürlich sofort geschnappt. Wo wir doch Grenzschutz aus ganz Norddeutschland hier haben.“ Der Zug steht noch immer. Wartet, bis kurz nach acht. Dann springen plötzlich alle Polizisten in die Mannschaftswagen und fahren gleichzeitig mit dem Zug los. Der biegt nach dem Städtchen rechts ab und rattert langsam auf den wenig benutzten Gleisen der Güterzugstrecke in Richtung Dannenberg.

Immer mehr Wasserwerfer säumen den Weg. Am Bahnhof Pudripp sperrt ein Trupp Bereitschaftspolizei schon seit eineinhalb Stunden eine Brücke über den Gleisen, erst zum Erstaunen, nun zum Ärger der wartenden Anwohner. Die Polizisten melden sich jedesmal, wenn ihr Funkgerät „Bochum 70/31, bitte melden!“ quakt – obwohl sie doch aus Schwerin und Unna kommen. Quälend kreisen die Helikopter fünfmal über jeder Stelle, bis der träge Konvoi endlich folgt. Hatte beim Start in Philippsburg ein Bereitschaftspolizist den abziehenden Jugendlichen mit ihren Transparenten noch frotzelnd hinterhergesungen „Ich bin ver- stra-halt“, so sind die Späße hier, 10 Kilometer vor dem Ziel, eher gezwungen. Als um halb zehn der Castor drohend zwischen den Birken und Eschen auftaucht, hat ein altgedienter Kommissar genug. „Ich bleib' jetzt nicht auf der Brücke, ist mir egal, was ihr denkt“, sagt er.

Betroffenes Schweigen bei Kollegen und Kolleginnen, dann ruft ihm einer hinterher: „Gerade du brauchst doch keine Angst zu haben. Du hast doch schon zwei Kinder!“

Die Waldwege zwischen Pudripp und Dannenberg sind mit Mannschaftswagen gespickt. Dannenberg bietet endgültig ein Bild wie ein militärisches Feldlager. Am Bahngleis gestaffelte Reihen des BGS, die Schlagstöcke gut sichtbar an den Plexiglas-Schilden. Jetzt wird die generalstabsmäßige Planung bis ins Detail erst richtig deutlich, gewinnt das Ganze deutsches Maß. Pünktlich wie geplant um 10 Uhr fährt der Castor in den Verladebahnhof ein – deshalb also die Wartezeit in Uelzen.

Der Bahnhof ist fest in sächsischer Hand. Junge Pfirsichgesichter aus Magdeburg und Leipzig greifen zum Helm und formieren sich, als der Castor einrollt. Eine Sonderstaffel von sechs olivgrünen Hubschraubern donnert in Formation immer wieder über die Gleise. Die geöffneten Visiere stehen dicht an dicht und blinken in der grellen Sonne. Da bleibt den Demonstranten nur ohnmächtige Wut und ein vergebliches Abklopfen der Polizeiketten auf schwache Stellen.

Als Punkt 10.25 Uhr schließlich zwei Reihen Uniformierte mit dem Helm in den Händen den Castor 200 Meter zum Verladekran eskortieren, ist das Bild klar – ein Strahlensarg wird zu Grabe getragen.

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