■ Urdrüs wahre Kolumne
: Da lacht der Schokohase

Auf dem Weg zum frühmorgendlichen Blutzucker- und Urinappell beim Onkel Doktor hat der Schreiber dieser Zeilen plötzlich einen heiß-hechelnden Atem im Nacken und denkt spontan an einen vagabundierenden Schäferhund. Ist dann aber nicht Bello oder Dankwart von der Gatterweide, sondern ein unbekannter Jogger um 60. Keineswegs im schillernden Glanze eines Tricolor-Dress, sondern im bullerigen Baumwollornat des debilen Turnlehrers der Old School-Generation. „Aus dem Weg, Dicker“ japst das knorrige Mannsbild, bleibt dann mit dem dunkelblauen Leibchen an meinem Schirm hängen und legt sich dann mit Grazie und ganz ohne Schwalbe in den regennassen Matsch.

Da liegt er nun, der arme Wicht, schaut verstört auf die Stoppuhr und poltert ungeachtet des aufgeschrammten Knies: “Wenn du Fettsack nicht im Weg gestanden hättest, dann wäre ich heute unter 12 Minuten geblieben.“ Dem Tod aber, weiß der Fettsack, dem Tod als dem verdienten Sold des Sportpädagogen entgeht der Kerl auch dann nicht, wenn er seine Runde demnächst in 10 Minuten schafft. Das stimmt uns heiter!

Am Vorvorabend des etwas mauen Kampfmai 95 grüßen wir von dieser Stelle auf das Nachhaltigste alle CASTOR-Blockadeure, das kämpferische Volk von Kurdistan und jeden Stadtstreicher, der es schafft, rüstigen Sparkassen-Altenteilern unbemerkt an die Anzughose zu pinkeln. Zeitgeschichtlichen Nachhilfeunterricht aber verordnen wir ex cathedra dem Arbeitskreis Junger KommunistInnen zu Bremen, der meine morgige Maiandacht im Bremer Schlachthof unter dem Titel ankündigt: “Wir schwimmen wieder im Mondvaterfluß“. Ja bin ich denn der feiste Esoterik-Guru aus der Nachbarschaft? Mondfalterfluß muß es heißen, und erfragt das Wieso und Warum bitte beim nächstgelegenen roten Großvater oder jeder beliebigen Vietnamkriegs-Partisanin.

Auf einer öffentlichen Toilette am Brill (unweit der Bremer Sparkassen-Machtzentrale) lesen wir dieser Tage direkt an der Rinne diese Botschaft: “Ulrich Nölle grüßt den Rest der Welt!“ Da wird doch wahrhaftig keine Chance ausgelassen, auch Minderheiten auf den Urnengang einzuschwören. Sicher ein Beitrag der Medienkampagne 80 plus zur Belebung der allgemeinen Wahlfreudigkeit.

Im Waller Supermarkt eine lange Warteschlange an der einzigen geöffneten Kasse. Da wagt sich eine junge Frau mit zwei Rotz und Wasser heulenden Kleinkindern vor und bittet mit Hinweis auf den greinenden Nachwuchs, mit ihrem bißchen Einkauf vorgelassen zu werden. Sie scheitert schließlich an einer Dame im gepflegten Kostüm, die als unermüdliche Agitatorin und Propagandistin alltäglicher Gemeinheiten erklärt: “Dann müssense eben die Kinder vorm Einkaufen irgendwo abgeben.“

Im weiteren Verlauf des Wartens aber reicht der vielleicht fünfjährige Sohn der Frau mit der unverschämten Bitte um Vortritt seiner kleinen Schwester die klebrigen Ohren eines preisreduzierten Schoko-Schmunzelhasens und schon herrscht wieder die drückende Ruhe ungeduldigen Anstehens. Hilfesuchend schaut das lütte Schleckermaul jetzt auf die verschmierten Fingerlein (“Sind so klein die Hände...“), erblickt dann erleichtert das Kostüm der Lady mit den lebensweisen Tips zur zeitweisen Abschiebung von Kindern und wischt den Kakao-Schmodder daran unbemerkt ab. Unbemerkt? Nicht ganz. Aber was schert's den Chronisten laufender Ereignisse. Außerdem sahen die braunen Fingerspuren auf marineblauem Grund eigentlich ganz reizend aus...

Ulrich Reineking und so weiter