Durchs Dröhnland
: Wenn man sich nicht erinnern kann, dann ist es Pop

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Vom Orchester des Staatstheaters in Estland in die Avantgarde haben Ne Zhdali ihren Weg gefunden. Ganz die versierten Musiker, die sie sind, packen sie haufenweise Töne auf zuwenig Platz, was zu reichlich kakophonischen Miniaturen führt, die oft an Zappa in dessen umwölktester Phase erinnern, in der auch er nichts ausgelassen hat.

Heute um 21.30 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg

Daß Doom-Metal nicht von vornherein bösewichtig und unverdaulich sein muß, beweisen Solitude Aeternus. Die Texaner sind wahrscheinlich am nächsten dran an Black Sabbath, den Paten des Genres. Gitarrenriffs, so wendig wie ein 40-Tonnen-Truck, Melodien, so zähflüssig wie Honig. Manchmal auch so süß. Hier trifft sich alt und jung, glücklich vereint.

Heute mit Count Raven um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Neukölln

Zum oft angeführten Vergleichpunkt Janis Joplin fehlt Jan James zwar noch ein gutes Stück Ausdrucksmöglichkeiten und mehrere Hektoliter Whiskey, aber die Frau aus Chicago spielt einen grundsoliden Bluesrock, der immerhin leidlich modernisiert daherkommt.

Heute um 22 Uhr im Franz-Club, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg

Hhm, seufz, englischer Poppunk, Buzzcocks und Shop Assistants und Undertones, auch wenn die aus Irland sind. Geradeaus, nicht zurückschauen, denn es gibt eh kein Vertun, jung ist man nur einmal. Diese Einstellung macht die Restless Blondes aus Kiel zu einer prima Party-Band, aber halt auch nicht mehr. Aber spätestens bei „Grammar of Misery“ muß ich schluchzen.

Morgen, 22 Uhr, Schoko-Laden Mitte, Ackerstraße 169/170

Das größte Problem bei elektronischer Musik ist ja, daß – wenn sie kein Pop sein will – es nie so recht hinhaut mit den bösewichtigen Klängen. Trotz aller technischen Innovationen kommt entweder ein dünnes Piepsen oder ein lächerlicher Nebelquark raus. Neuzeit Syndrom benutzen beides, der Sänger keift dazu waschweibmäßig, und man mag sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Deutsche Ernsthaftigkeit at its best.

Morgen um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Wieder Nachricht aus den fränkischen Dörfern. The Cosmic Gardeners sind ein Duo, grüßen auf ihrer auf 8 Spuren selbst aufgenommenen, selbstproduzierten, selbstverlegten und selbstvertriebenen LP den guten alten Limo von den Shiny Gnomes und befinden sich musikalisch ungefähr bei deren Stand von vor fünf, sechs Jahren: psychedelischer Pop, Sitar und andere obskure Instrumente. Musik, als wäre Indien ein Vorort von London. Das Info verspricht eine Reise in den „whirlpool of the senses“.

Am 30.4., 22 Uhr, Duncker, Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg

Immer habe ich dieses unbestimmte Gefühl, Tanita Tikaram wäre der kleine Bruder von irgend jemand ganz Berühmtem. Aber ich glaube, das stimmt nicht. Wahr ist indessen, daß ich ihren Hit damals wirklich mochte. Wie hieß der noch gleich? Das ist dann wahrscheinlich wirklich guter Pop, wenn man sich nachher nicht mehr an den Titel des Songs erinnern kann. Ach ja, war's nicht „Twist in my Sobriety“? Ich glaub' schon. Und die neue Platte ist wieder genauso, zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus, aber dazwischen ist es wunderschön und sehr beschaulich.

Am 30.4., 20 Uhr, HdK, Hardenbergstraße 33, Charlottenburg

So was wie sev:n:inch passiert, wenn Mitarbeiter bei einer großen Plattenfirma anstatt in der Nase zu bohren plötzlich versuchen, sich ihr unanständig hohes Honorar zu verdienen. Also suchen sie eine nicht allzu häßliche Band, färben dem einen die Haare, befehlen dem Rest sie wachsen zu lassen, verordnen knallige Produktion, ein bißchen Rock, aber tanzbar soll es sein – und fertig ist die Laube. Schön, daß das Publikum meist nicht so doof ist.

Am 1.5., 20.30 Uhr, Huxley's Jr.

Einen nicht zu übersehenden Kultstatus haben sich in dieser Stadt inzwischen Mr. Ed Jumps The Gun erspielt. Zwischen Wollmützen, Hornbrillen, satten Gitarrenriffs und leidlicher Tanzbarkeit regiert der Frohsinn. Durchaus erfolgreiche Frischzellenkuren haben sie solchen Klassikern wie „Wild Thing“ und AC/DCs „TNT“ angedeihen lassen, auf der neuen Platte findet sich eine ebenso böse wie treffende Death- Metal-Verarsche. Sie nehmen sich nicht ernst und haben ihren Spaß dabei. Das ist okay.

Am 1.5. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Was in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern die Sitar war (s.a.w.o.), ist inzwischen das Didjeridoo. Im Gegensatz zu früher kommt mit dem Instrument aus der fremden Kultur allerdings kein gleichzeitiger Ideologie- Transfer daher. Das Blasinstrument der australischen Ureinwohner wird statt dessen meist eher archäologisch betrachtet. So bei Circular Breathing, die mit ihren drei Didjeridoos eine bedächtige, sanft pluckernde Musik machen, wie sie vielleicht auch mal im Busch gespielt wurde. Frill Neck dagegen verbinden Didjeridoo mit Gitarre, aber auch Perkussion, anderen Blasinstrumenten, Gesang und Klängen aus dem Computer. Die Strukturen wechseln vom Popsong über Free-Jazz- Ausflüge bis zur reinen Klangmalerei.

Am 3.5., 20.30 Uhr, Loft

Meine Theorie war ja immer, um Gruftrock wirklich gut zu finden oder gar selber machen zu wollen, darf man – zumindest im Geiste – nicht älter als fünfzehneinhalb sein. Tom Lücke bestätigte das, indem er bei Girls Under Glass ausstieg, um seitdem mit drei anderen als Stuck Big Meal einen recht flotten und gemütlich verzerrten Rock zu machen, bei dem einem alles mögliche einfällt, aber bei welcher Rock-Band ist das nicht so. Mit der Hamburger Schule hat man nur die Herkunft gemein, ansonsten steht man auf die alten (Doors) und jungen (Monster Magnet) Klassiker. Vor allem aber ist es doch schön, daß wieder einer weniger unsere Vorfahren mutwillig in ihrer wohlverdienten Ruhe stört.

Am 4.5., 22 Uhr, freier Eintritt, Duncker Thomas Winkler