Angst vor der Gegenwart

„Primadonna, schwerer Held“ – aus Frankfurt/Main gastiert Wolfgang Spielvogels Stück über Petra Kelly und Gert Bastian im Ratibor Theater  ■ Von Petra Kohse

Voll war das Ratibor Theater nicht gerade bei der Berliner Premiere von Wolfgang Spielvogels Stück „Primadonna, schwerer Held“. Das muß nicht daran liegen, daß jemand sämtliche Werbeanstrengungen des Theaterleiters Dietmar Miehlke unterminiert hat. Die Leute werden schon gewußt haben, daß hier ein Stück über Petra Kelly und Gert Bastian gezeigt wird. Es hat offenbar einfach nicht so viele interessiert.

Ein Zeitstück? Ein politisches Zeitstück? Zwischen Kitsch und Denunziation ist alles drin, aber – nee, zu der grünen Politikerin Petra Kelly und dem Ex-Bundeswehrler Gert Bastian, der beide im Herbst vor zwei Jahren erschossen hat, hat wohl jeder seine eigene, diffuse oder orthodoxe Meinung. Das Bedürfnis nach HeldInnen ist ja derzeit groß, aber vom Theater erwartet man wohl eher, in der Unbedingtheit einer Elektra eine Kelly anzudeuten. Der direkte Weg hat den Ruch des Unkünstlerischen. Nur bei Johann Kresnik lechzt man danach, da er die Themen ja jeweils durch seine spezielle Maschinerie bugsiert.

Nun, Kitsch ist Spielvogels Stück nur manchmal, denunziert wird niemand, ein Beziehungsdrama ist es zum Glück nicht, und eine Meinung wird einem auch nicht aufgedrückt. „Ich weiß nichts, wissen Sie vielleicht mehr?“ fragt Barbara Englert am Ende. Da hat sie aber schon zwei Stunden phantasiert und vermeintlich aus dem Munde Bärbel Bohleys gesprochen, aus dem von Kellys Stiefvater, einem Polizisten, Parlamentskollegen, Bastian und Kelly selbst und und und.

Allein, mit einen Topf voll Mehl, einem Stuhl und einer Tarnuniform auf der Bühne, improvisiert Englert über Zeitgeschichte. So könnten sie sich gestritten haben, diese und jene Fragen sind ungeklärt, zwei Plastiktüten voller Hotelaccessoires im Keller!? Dann eine Rede von Kelly, Liebesworte, aus Artikeln wird zitiert, manchmal kommentiert die Schauspielerin das Stück auch selbst. Multiperspektivische Rekapitulation.

Kelly, die Starke, Kelly, die Schwache. Die das Leben liebte und den Mann, der sie umgebracht hat. Weil sie ja ohne ihn nicht leben konnte (angeblich). Die an Engel und an politische Wunder glaubte und in der eigenen Partei selbst als Engel fiel. Und der man letztlich doch immer recht geben mußte. Die Nervensäge und die Heilige.

Am Ende ist man so klug wie man auch zuvor hätte sein können. Das Stück, dessen sprachliche Überzeugungskraft sich ebenso in Grenzen hält wie die Verwandlungsfähigkeit der Darstellerin, will offenbar einfach an Fakten und Klischees zu Petra Kelly und Gert Bastian erinnern. Eine Gedenk-Improvisation. Das ist immerhin eine ehrbare Sache. Besser jedenfalls als der Versuch, sich an politischen HeldInnen der jüngeren Geschichte mit einer eitlen Distanz abzuarbeiten, die sich dann doch nur als Trittbrettfahrt des entsprechenden Nimbus entpuppt, wie kürzlich bei „Baader Remix 95“ von der Gruppe Koop beobachtet werden konnte.

Ein politisches Zeitstück ist Spielvogels Stück aber nicht, denn es ist nicht analytisch. Ein einziger Moment im Leben der Petra Kelly, in dem Utopie und Realität aufeinanderknallten. Dieser auseinandergenommen und psychologisch motiviert, so daß alle recht hätten. Und vielleicht einer oder eine ein bißchen mehr. Aber Spielvogel klittert und kladderadatscht ja, wie gesagt.

Ihren gewissen Charme bezieht diese Frankfurter Produktion aus ihrer Neugier und Insistenz. Sie bräuchte ein Publikum, das buht und bravo! schreit, in die Vorstellung der Statements und Vermutungen hinein. So könnte eine Art Happening entstehen, das der Sache angemessen wäre. Aber wer von uns hat das schon einmal erlebt? So haben beide schuld, Publikum und MacherInnen, daß „Primadonna, schwerer Held“ nicht mehr ist als ein gespieltes Dossier.

Weitere Vorstellungen bis 7. 5., Mi-So, 20 Uhr, im Ratibor Theater, Cuvrystraße 20, Kreuzberg