Dinger rein und alles klar

Das 1:1 gegen Wales interpretiert Bundestrainer Berti Vogts zwar richtig, verweigert aber dabei die entscheidenden Schlußfolgerungen  ■ Aus Düsseldorf Peter Unfried

Immer wieder diese quälende Unsicherheit, immer wieder die Frage: Was ist passiert? Was bedeutet es? So hat man es am Ende im Düsseldorfer Rheinstadion aus der Kurve rotzig „Fortuna“ schallen hören. Brr. Na ja, die Welt, der Fußball im allgemeinen und sehr ein mittwöchliches 1:1 im EM-Qualifikationsspiel gegen Wales sind interpretationsbedürftig.

So hat man im Zelt der Weisen und Auguren erleichtert aufgeatmet, als ein Mann anhub und folgendes sprach: „Wir haben unsere Chancen nicht genutzt.“ Zweitens: „Wir haben leichtfertig den Sieg verschenkt.“ Drittens: „Wir sind bestraft worden.“ Diese Sätze hat der Bundestrainer seither variiert, und schnell ist klar geworden, daß aus dem ersten 2 und 3 folgen.

Tatsächlich, das hat Mehmet Scholl noch von der Bank aus beobachtet, hat's „so viele Chancen schon lange nicht mehr gegeben“. Die Stürmer Klinsmann und Herrlich hatten die meisten, allesamt in der ersten Hälfte, und den Vorwurf, „diese 100prozentigen“ nicht genutzt zu haben, den hat selbst der Torhüter Köpke nicht verschweigen können. Warum etwa der allein auf Southall zueilende Klinsmann den Everton-Keeper, nicht aber ins Tor traf? Hören wir: „Ich habe erst gesehen, daß die rechte Ecke frei ist, es eigentlich mit dem Außenrist machen wollen, dann aber zu lang gewartet, schließlich aufs kurze Eck spekuliert – und dann war er unten.“ Das, sagt Klinsmann, „hat mir gestunken“.

Dem Bundestrainer auch, denn der kennt das Gesetz, nach dem es dann „irgendwann gegen eine Mannschaft läuft“. Um präzise zu sein: Es lief nicht gegen, es lief in Halbzeit zwei gar nichts mehr. „Warum und weshalb“, fragte sich da von Berufs wegen Vogts und kam auf das insbesondere rechts draußen rapide abnehmende Tempo. Da stand Mario Basler und wurde es „weniger und weniger“ (Vogts). Auch Thomas Häßler, der zunächst angetäuscht hatte, er sei der Mann, den garstigen Vinnie Jones entscheidend auszuspielen, blieb stumm. Vielleicht lag's auch an Wales? Mike Smith hatte hinten die Viererkette, vorn das wohl etwas verbrauchte Trio Saunders, Hughes, Rush und machte so zwar Weber und Freund zu echten Außenverteidigern, doch ergab sich als Folge auch im walisischfreien vorderen Mittelfeld Gelegenheit, mit Muße immer wieder die Spezialisten Ziege (links) und Basler um eine Flanke zu bitten. Schien erfolgversprechend, war es aber nicht, obwohl Klinsmann und vor allem Herrlich in der Luft erstaunliche Vorteile hatten. Na, und irgendwann hatte dann aber auch Smith mitbekommen, daß ein mäßig begabtes Team sich nicht auch noch allzu weltfremd verhalten sollte, daß „das Problem die Flanken gegen uns waren“ und daß man „die verhindern muß“.

Auf der anderen Seite gab es für den auf der Liberoposition stehenden Reuter nur einmal ein Problem, als „ein Fehler gemacht wurde“ (Vogts), von wem, „ist am Ende sekundär“ (Babbel), der plötzlich freistehende Saunders den Ball „sicherlich optimal traf“ (Köpke), doch womöglich irregulär? Köpke sagte: „Es war Abseits“, aber jedenfalls, sagt der Bundestrainer: „Gegen eine eingespielte Abwehr wäre das nicht passiert.“ Apropos, er freue sich, daß ihn endlich jemand nach den Absenzen frage: „Man vergißt inzwischen, auf wen wir alles verzichten müssen.“ Kann man gar nicht, weil der Mann permanent „Matthäus Sammer Helmer Kohler Möller“ murmelt und damit ja recht hat. Interpretieren auch wir einmal ein bisserl: Zumindest zwei der fünf machen den Unterschied auch international. Die Mannschaft in derzeitiger personeller Konsistenz bekommt kein „neues Gesicht“, wie Vogts hoffen heißt, sie ist eine Ansammlung hilfloser Abhängiger, die darauf warten, daß ihnen einer sagt, wo sie den Ball liegen lassen können.

Im übrigen wird auch kein neues Team aufgebaut: Alles was bei der Hetzjagd durch die Zeit getan werden kann, ist die neu entstandene Ausgangsposition der Situation zuzuordnen. Im Juni geht es nach Sofia gegen die nunmehr mit zwei Punkten führenden Bulgaren, da, sagt Köpke, „haben wir im direkten Vergleich Chancen, einiges klarzustellen“. Wie? Egal. Wichtig ist, daß. Vogts spekuliert auf einen Zeit gewährenden, da erst später einzulösenden Heimsieg, weshalb zunächst nur „ein Punkt zurückzuholen“ sei. Aber was nützen alle Interpretationen, wo es doch in Wahrheit darauf ankommt, den Lauf des Fußballs und also den der Welt zu verändern? „Wenn wir die Dinger reingemacht hätten“, so hat einst schon Karl Marx geseufzt, „wäre alles klar gewesen“. Das hätte von Jürgen Klinsmann sein können.

Wales: Southall - Phillips, Symons, Coleman (46. Williams), Bowen - Horne, Jones, Speed - Saunders, Hughes (90. Hartson), Rush

Schiedsrichter: Encinar (Spanien)

Zuschauer: 44.000 (ausverkauft)

Tore: 0:1 Saunders (8.), 1:1 Herrlich (42.)

Deutschland: Köpke - Reuter - Freund, Babbel, Weber - Basler, (76. Scholl), Eilts, Häßler, Ziege (86. Kuntz) - Klinsmann, Herrlich