Wahl-Watching
: Kröten und Möpse Mösen

■ Wahlplakate ernst genommen: ein Morgen-Rundgang mit glasigem Blick

Morgens um neun. Das Immunsystem ist noch geschwächt, der Blick ist noch glasig. Das Wahlplakat ist unglaublich groß und zeigt Herrn Nölle. Der will: Raus aus der Sparkasse! Raus aus der Sparkasse? Moment, seit wann ist das ein politisches Argument? Müssen wir Herrn Nölle aus Mitleid wählen? Andererseits: Welches herrlichere Motiv, einem Menschen die Stimme zu geben, gäbe es? Morgens um neun spiele ich mit dem Gedanken, Herrn Nölle zu wählen. Die Sparkasse ist für ihn eine Sackgasse.

Da! Schon um zehn nach neun die nächste Prüfung für mein weiches Herz. Ein Mann ohne Namen, teigig im Gesicht, eine Magensache vermutlich. Der elende Eindruck will von einer floral bedruckten Krawatte korrigiert werden, aber die langen dünnen Vorderzähne sprechen eine überdeutliche Sprache. „Bremen gewinnt,“ keucht der Mann allem Augenschein zum Trotz. Herrgott! Ich kann ihn retten, warum tu ich's nicht?!

Viertel nach neun. Warum habe ich kein Fernglas dabei? Hoch im Baum hängt ein kleines Schild. Darauf ein Foto aus der Fahndungskartei der Polizei. Es muß sich um eine Turner- und Klettererpartei handeln, womöglich die Radikal Eindimensionalen Pimpfe. Die Pimpfe haben Angst, daß ich ihr Plakat anspucke, aber in dieser Höhe kann ich morgens mit verklebten Augen noch nicht einmal etwas lesen. Wahrscheinlich sind die Pimpfe überhaupt keine Partei.

Innenstadt, halb zehn. Noch eine Überhauptkeinepartei, sondern einer Art Spaßguerilla ist eine Gruppe namens DVU. Die klebt ihre Plakate schon gleich mit großflächigen Sprühschriften übersprüht an die Wände. Mittels der Sprühschriften wendet sie sich gegen den Faschismus.

Fünf nach halb. Komme schon zu spät zur Konferenz. Eine Litfaßsäule, darauf steht: Eine Säule für Bremen. Was um Himmels willen will der Mann mit den Fotos unterm Arm? Er will mir Fotos verkaufen. Ich kaufe nichts von fremden Onkeln. Er verspricht mir Arbeit für Bremen. Ich habe Arbeit genug. Viel Kleingedrucktes auf dem Plakat. Obacht!

Dobben. Zwanzig vor. Ein Mädchen mit einem dicken Kopfverband fragt, typisch für kleine Mädchen mit dicken Kopfverbänden: „Was tut die F.D.P. für mich?“ Die F.D.P. antwortet: „Schulvielfalt“. Das Mädchen bedankt sich artig, will aber lieber Maoam. Die Frei Demokratischen Pädophilen schluchzen laut und verabschieden sich aus der Politik. Warum habe ich keine Tochter?

Oha, viertel vor! Das gibt einen Rüffel von der Chefin! Aber wie angewurzelt stehe ich vor zwei Grünen-Plakaten: „Grün - weil ich ein Mädchen bin.“ Und: „Kröten-Möpse-und-Mösen – ökologisch wirtschaften zahlt sich aus“. Wozu man Mädchen alles brauchen kann! H&M und C&A brauchen sie für ihre Unterwäschereklame, Grün für das rätselhafte Kröten-Möpse-Mösen-Programm. Wen aber rette ich, wenn ich die Grünen wähle? Dabei haben sie so schöne Köpfe! Wie gern würde ich ihr Spiegel-Playmate retten! Oder den arbeitslosen Testosteron-Schädel!

Zehn vor zehn! Tasche auf den Tisch gepfeffert, neben die dreckigen Kaffeetassen. Mein verschleierter Blick fällt aus dem Fenster: Direkt vis-a-vis klebt was wohl? Ein Plakat. Auf dem Plakat kommt Marina. Klack klack klack - stampft sie eine Viertelgasse herab. Der ganze Körper ein Programm, und das heißt: Konkurrenz! Ein Polyacrylschal weht. Augen rechts. Da wo die Konkurrenten der PDS stehen. Alle. Doch halt: Dies ist definitiv kein Wahlplakat, sondern der Titel einer Brigitte-Extranummer zum Thema „Frauen auf dem Weg nach oben - Das macht die Konkurrenz aus uns!“

Ach wenn's doch nur ein Wahlplakat wäre! Ich könnte Marina retten. Mit bloßer Stimme. Ich könnte das wirklich tun! Burkhard Straßmann