Geschwister frißt man nicht

■ Eine Diskussion über untergründige faschistische Tendenzen in der Veganerbewegung

Neugierig strömten am Donnerstagabend über 150 VeganerInnen und VegetarierInnen zu einer Veranstaltung des Antifaschistischen Kommitees. Provozierender Titel: „Veganismus/Vegetarismus – Wiedergänger des Faschismus?“ Doch nach vier Stunden gingen viele recht frustriert nach Hause – zu abgehoben und zu lang waren ihnen die Vorträge, zu kurz die Diskussion, außerdem fühlten sie sich zu Unrecht angegriffen.

Dabei wollten die beiden Referenten gar nicht den Veganismus an sich angreifen, jedenfalls nicht seine rationale Begründung: Daß zum Beispiel auf die Vernichtung wertvoller Proteinpflanzen durch Nutztiere verzichtet werden müsse, um alle Menschen zu ernähren. Nein, die Referenten zielten auf die reaktionären Anteile am Veganismus. Ist es denn Zufall, daß Himmler und Hitler Vegetarier waren und Göring Tierschützer? Ist es unerheblich, daß die traditionelle Linke immer eher für die Industrialisierung argumentiert hat, die Rechte dagegen die Zukunft gern im naturverbundenen Leben sah? Muß das linke VeganerInnen irritieren?

Unbedingt muß es sie irritieren, sagte Wolfgang Bock, Kulturwissenschaftler an der Uni und seit 20 Jahren Vegetarier. Zunächst jedoch lockte er seine ZuhörerInnen mit Zitaten von Pythagoras in philosophische Gewässer: „O welch Sünde ist's, Fleisch in Fleisch zu begraben!“ Pythagoras träumte als einer der ersten von einem goldenen Zeitalter, da Mensch und Tier friedlich zusammen leben. Hinter diesem Traum steht häufig eine animistische Weltanschauung: Daß nämlich alles beseelt sei, daß die Seele sogar wandere durch die verschiedenen Existenzformen Pflanze, Tier, Mensch. Wer also Fleisch ißt, vergeht sich. Das macht Schuldgefühle, viele Kulturen kennen deswegen Opferriten.

Wer aber kein Fleisch ißt, kommt nicht unbedingt besser davon, sagte Bock. Verzicht nämlich sei eine zivilisatorische Leistung. Sich zu zivilisieren heiße aber immer, einen Trieb zu unterdrücken. Wehe dem, der sich das nicht bewußt macht. Salopp ausgedrückt: Dann drückt der Trieb verschoben, verzerrt halt doch wieder wo raus. Verzicht zeugt Wut, Wut über die asketische Lebensweise, und die Wut läßt man dann (Verschiebung!) an anderen aus – zum Beispiel an Schlachtern.

Blödsinn, tuschelten sich einige zu, wir handeln doch nicht aus Wut über den Verzicht, sondern aus guten Motiven: weil wir Tiere schützen wollen. Eben, meinte der Kulturwissenschaftler, man identifiziert sich mit den Tieren, um die eigenen Aggressionsanteile nicht zu sehen. Und damit stieg er hinunter zur Freudschen „Urszene“: Die Verdängung des Hasses gegenüber dem Vater sei das eigentliche Motiv vieler TierrechtlerInnen, bemäntelt von hochmoralischen Argumenten. Der Tierschützer als „Krieger der großen Mutter“, als Held. Ist sowas nicht auch eine Art „Vernutzung“ der Natur? „Aufklärung bedeutet auch immer Selbstaufklärung“, verteidigte sich derweil im Saal Wolfgang Bock.

Konkreter ging Björn von Thülen, selbst Veganer und vom Antifaschistischen Kommitee, die VeganerInnen an. Er wirft manchen eine Vergötterung der Tiere vor und damit Antihumanisus. Zentrale Prämisse von Gruppen wie frontline oder Earth First: daß Menschen und Tiere gleiche Rechte hätten. Manche TierrechtlerInnen sehen jedoch nicht nur eine Gleichberechtigung der Natur, sondern sogar einen Vorrang. Das nennen sie „Tiefenökologie“ im Unterschied zur „Flachökologie“, die die Natur nur schützen wolle, um den menschlichen Lebensraum nicht zu gefährden. Dieser Ökozentrismus, so Björn von Thülen, schlage jedoch ebenfalls schnell in Antihumanismus um. Zitat aus der Zeitschrift „Instinkt“: „Menschen sind scheiße.“ Frei nach frontline: Wer Fleisch ißt, müßte eigentlich sterben.

Die VeganerInnen im Saal fühlten sich durch solche Kritik nicht angesprochen. Zumal viele den Veganismus nicht als die Heilslehre begreifen, sondern sich auch anderswo engagieren. Da mochte ihnen Wolfgang Bock noch so viel von der „Selbstaufklärung der Aufklärer“ erzählen, am Schluß stand dann doch diese beklatschte Meinung eines Veganers: „Es ist wichtig, sich mit faschistischen Tendenzen im Veganismus auseinanderzusetzen, aber das hier ist mir zu abgehoben. Vielleicht bin ich ja vegan, weil ich 'nen Mutterkomplex habe – aber eigentlich bin ich vegan, weil ich gegen die Unterdrückung von Tieren bin. Für Gedankenspiele jedenfalls bin ich nicht hergekommen.“ cis