■ Polens Außenminister vor dem deutschen Parlament
: Vertrauen

Eigentlich ein Gemeinplatz, daß symbolische Gesten das Verhältnis von Völkern zueinander oft nachhaltiger bestimmen als lange Phasen „normalen“ Zusammenlebens. Roman Herzogs kurzer Auftritt in Warschau anläßlich der 50-Jahr-Feiern zum Warschauer Aufstand hatte mehr noch als die Politiker die Menschen in Polen bewegt, war den polnisch-deutschen Beziehungen, den tagtäglichen, nicht den rhetorisch beschworenen, nützlich gewesen. Die Weigerung, Polens Präsident Walesa anläßlich des Kriegsendes nach Deutschland einzuladen, drohte diesen Fortschritt zunichte zu machen. Ein Meisterstück deutscher Diplomatie, in Szene gesetzt mit einem geradezu wilhelminischen Drang, keine Peinlichkeit zu vermeiden.

Es bedurfte eines feinfühligen, mit den Unwägbarkeiten deutschen Politik-Stils genau unterrichteten Mannes, es bedurfte des polnischen Außenministers Bartoszewski, um einen Weg aus dem verminten Gelände zu finden. Bartoszewski kritisierte vorweg, gegenüber der Presse, die deutsche Einladungspolitik, sprach von einer vertanen Chance. Aber vor dem Bundestag zielte er, der ehemalige Auschwitz-Häftling, auf das alles entscheidende Kriterium: Vertrauen. Denn jenseits aller rationalen Kalküle à la „der Weg Polens nach Europa führt über Deutschland“, jenseits aller deutschen Versicherungen, Polen das Tor zur europäische Union zu öffnen, jenseits aller erwiesenen Berechenbarkeit bleibt doch eine ständige Irritation, ein tiefsitzender, historisch verwurzelter Zweifel: „Können wir den Deutschen endlich trauen?“

Vertrauensbildend wäre eine deutsche Politik, die jeden Verdacht ausschließt, das vereinte Deutschland werde zu seiner traditionellen „geopolitischen Rolle“ zurückkehren und das Schicksal Polens und der anderen ostmitteleuropäischen Staaten werde ein weiteres Mal von Rußland und Deutschland entschieden werden. Bartoszewski sprach von einem „zutiefst demokratischen Deutschland, das wieder eine konstruktive Rolle in der europäischen Geschichte und Kultur übernommen hat“. Der Akzent liegt auf „konstruktiv“ und auf „Europa“. Wenn Außenminister Kinkel angesichts der russischen Invasion Tschetscheniens Jelzin gegenüber Verständnis bekundet, wenn das „Weiter wie bisher“ zur Maxime deutscher Rußlandpolitik erklärt wird, bricht in Polen das Trauma (das heißt die Wunde) auf. „Wir hoffen“, sagte Bartoszewski, „daß im Westen nicht wiederum ein enger Realismus dominiert, im Sinne von Einflußzonen, Puffern oder der Anerkennung von historischen Interessen der Nachbargroßmächte“. Beschwörende Worte! Christian Semler