Buhlen um Rechts

Eine Woche vor der Stichwahl umwerben Frankreichs Kandidaten die extreme Rechte  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Der erste Mai“, erinnerte der Chef der kommunistischen Gewerkschaft CGT gestern seine Anhänger, „ist der Kampftag der Arbeiter.“ Louis Viannet, der aus Anlaß des 100. Geburtstages seiner Gewerkschaft in diesem Jahr besonders viele Veranstaltungen geplant hat, fürchtet die Konkurrenz der rechtsextremen Front National, die am selben Tag ihre traditionelle Demonstration zu Ehren der Nationalheiligen Jeanne d'Arc macht. Drei Stunden lang wollen die Rechtsextremen quer durch Paris laufen, bevor sie am Montag mittag die mit Spannung erwartete Wahlempfehlung ihres Chefs Jean-Marie Le Pen hören.

Le Pen, der bei dem ersten Durchgang zu den Präsidentschaftswahlen am vergangenen Sonntag 15 Prozent der Stimmen gewann, hat seine schon vormals starke Position im Arbeitermilieu weiter ausgebaut und dort mit 27 Prozent mehr Stimmen als irgendein anderer Kandidat bekommen. Dieses Ergebnis macht Le Pen zum meistumworbenen Politiker vor dem zweiten Wahlgang am 7. Mai.

Der Neogaullist Jacques Chirac und der Sozialist Lionel Jospin, die zuvor die Leib-und-Magen-Themen des Rechtsextremen peinlich vermieden hatten, versuchen seither, sich als Experten für Immigration und Sicherheit zu profilieren. Auch eine Änderung des französischen Wahlrechts wird plötzlich zum Thema. Bei den bislang üblichen Mehrheitswahlen haben kleinere Parteien wie die Front National, aber auch die französischen Grünen, so gut wie keine Chance, ins Parlament einzuziehen. Schon Stunden nach dem Wahlgang signalisierte Neogaullist Chirac seine Bereitschaft zur Einführung eines Verhältniswahlrechts – und auch Jospin steht dem kaum nach.

In Sachen Immigration warnt Chirac vor den Gefahren der „ethnischen Gruppen“ und verspricht, die Gesetze gegen die klandestine Einwanderung noch weiter zu verschärfen. Jospin hingegen stützt sich auf die bestehenden Gesetze und verspricht, sich daran zu halten und illegale Einwanderer „auf humane Art zurückzuführen“. Die scharfen Schüsse gegen die „Pasqua-Gesetze“, die in den vergangenen Jahren Frankreich zum bestverbarrikadierten europäischen Land gemacht haben, überlaßt Jospin seinen linken Unterstützern. Einer von ihnen, der ehemalige sozialistische Justizminister Robert Badinter, versprach am Donnerstag abend bei der bislang größten sozialistischen Wahlkampfveranstaltung in der Le-Pen-Hochburg Marseille, er werde „nie im Leben diese Gesetze des Ausschlusses akzeptieren“.

Die Sorge, keine eindeutigen Botschaften gegen die Rechtsextremen abzugeben, bestimmte die Kommunistin Rolande Perlican im Nationalen Komitee (ehemals ZK) der KPF, gegen eine Wahlempfehlung für Jospin zu stimmen. Die Mehrheit ihrer Genossen sprach sich am Mittwoch dennoch für Jospin aus – allerdings mit Magenschmerzen: Es gehe vor allem darum, so der kommunistische O-Ton, den weiteren Vormarsch der Rechten zu stoppen.

Unter umgekehrtem Vorzeichen – die Linke stoppen – versucht die Rechte, die sich in den letzten Wochen auf das erbitterste öffentlich selbst zerfleischt hatte, ihre Wunden im Schnellverfahren zu heilen. Nachdem der neogaullistische Regierungschef Edouard Balladur am Sonntag als Präsidentschaftskandidat nicht genügend Stimmen bekam, empfahl er sofort die Wahl seines vormaligen Hauptgegners Chirac. Der Mann, den er vorher als „Stabilitätsrisiko“, als unberechenbar, unqualifiziert und demagogisch bezeichnet hatte, soll nun unbedingt nächster Präsident werden.

Le Pen, der vielumworbene, schweigt bislang. Seine Aversion gegen Chirac ist bekannt, ebenso jedoch die „gegen den Sozialismus“. Innerhalb seiner Partei tobt der Kampf um die richtige Wahlempfehlung. So appellieren die Präsidenten von Le Pens Unterstützungskomitees für eine Wahlempfehlung zugunsten Jospins. Der sei zumindest kein Wendehals, integer und habe schon immer die Einführung des Verhältniswahlrechts vorgeschlagen. Gleichzeitg plakatiert eine „Volksallianz“ den rechtsextrem inspirierten Aufruf: „Nein zum Sozialismus, nein zu Jospin“ an Frankreichs Wänden; ihr Gegenvorschlag: „nationale Mobilisierung“.