■ Schöner leben: Kaffee im Supergau
Weißt du noch, damals dieser April? Wie schön warm der war, und wie der Ginster schon blühte? Mit kurzen Hosen konntest du laufen, ja, so warm war's. War alles so friedlich, kein Wässerchen trübte die Luft. Wildkirschen säumten den Waldrand mit Weiß. Blau lag der Himmel überm Grün, nicht so wie dies Jahr, mit Regen und Kälte in wolkenverhangenem Grau.
Draußen hast du gesessen, du und die FreundInnen auf dem Land. Selbstgebackenes stand auf dem schiefen bunten Tisch vorm Kotten. Immer schon wolltest du ihn reparieren, aber wie das so ist mit den Gewohnheiten. Sie halten. Schon aus Gewohnheit. Darüber sprachen wir, weißt du es noch? Was hat Gewohnheit mit Genuß zu tun? Darüber sprachen wir lange, an diesem sonnigen Tag bei Kaffee und Kuchen, Ginster und Blau.
Du bliebst auch sitzen, als jemand das Spiel holte. Das Spiel aus dem viel zu großen Karton. Das, das wir alle gern spielten, wenn wir mal Zeit hatten. An diesem Tag hatten wir Zeit zu genießen. In der Küche machte schon jemand Salat für den Abend am Feuer. Das wäre doch ein schöner Abschluß für so einen schönen Tag, ja, so hatten wir uns das gedacht. Und hätte dieser Jemand nicht das Radio angemacht in der Küche, dann wäre dieser Tag auch schön geblieben.
Aber dann durften wir nicht mehr hinausgehen, warnten Stimmen im Radio. Andere sagten, es sei nicht so schlimm. Das sagten wir uns auch. Hatten aber trotzdem Angst. Draußen blühte es blähendes Blau, und der Himmel war grün, und die atomhelle Sonne fraß sich in den Abend. Und wir haben lange gesprochen über das Ungewöhnliche, das nicht zu begreifen war, und eigentlich nicht zu besprechen. Ja, so war das an diesem 26.4.1986, erinnerst du dich?
Das ist lange her. Neun Jahre. Jetzt ist alles wieder gut, schon aus Gewohnheit: Wenn der blaue Castor wieder blüht. Eigentlich alles wie immer, nur eben nicht so warm wie damals.
Dora Hartmann
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