Viele Menschenversuche ohne Kontrolle

■ Bremen verschläft die Chance, eine öffentliche Ethikkommisson für alle Versuche einzurichten

In ganz Deutschland werden in den nächsten Monaten die Landes-Ethikkommissionen nur so aus dem Boden schießen. Diese Kommissionen sollen ab August, so fordert es das neue Bundes-Arzneimittelgesetz, alle Menschenversuche mit Medikamenten und Medizinprodukten (z.B. Geräten, Herzklappen) ethisch beurteilen. Bremen hat schon 1986 eine Ethikkommission für Medikamentenversuche ins Leben gerufen. Alles bestens also im Lande Bremen? Mitnichten, sagen KritikerInnen. Bremen verpasse eine große Chance, die Chance, eine auch für alle anderen Menschenversuche zuständige öffentliche Ethikkommission einzurichten. Das Bonner Gesetz stellt den Ländern die Einrichtung solcher Kontrollgremien für alle medizinischen Menschenversuche nämlich ausdrücklich frei.

Die Einrichtung einer öffentlich berufenen und paritätisch mit ÄrztInnen, PatientenvertreterInnen und Frauen besetzten Ehtikkommission für alle Menschenversuche müßte die Bürgerschaft beschließen. Eine Chance dazu hat sie gerade erst vertan: als im Frühjahr das neue „Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst“ (ÖGDG) verabschiedet wurde. Darin ist jetzt nur von der Landes-Ethikkommission für Medikamente und Medizinprodukte die Rede. Hinter den Kulissen wird erzählt, daß man nicht gewagt habe, den Passus über Ethikkommissionen zu verschärfen – aus Angst, daß die FDP (Ärzteklientel) das ganze Gesetz kippe. Schließlich enthalte dieses Gesetz auch Erfreuliches, etwa die Pflicht zu Gesundheitsberichten. Nun haben die Grünen die Forderung nach einer Patientenschutzkommission in ihr Wahlprogramm genommen.

Weiterhin zuständig für alle Versuche jenseits der Medikamentenversuche, also für Erlanger Babies oder chirurgische Experimente, ist im Land Bremen also die Ethickommission der Landes-Ärztekammer. Hauptsache Ethikkommission, mögen Laien denken. Doch Bremer PatientenvertreterInnen halten dieses Konstrukt für ein Unding, jedenfalls nicht für eine unabhängige Kommission. Die Ärztekammer-Ethikkommission setzt sich nämlich allein aus dem Vorstand der Ärztekammer zusammen. Neben vier Ärzten und einer Ärztin sitzen nur noch der Geschäftsführer und der Justitiar, wie ein Mitarbeiter der Ärztekammer sagt. Mehr war übrigens nicht zu erfahren, der einzig Auskunftsberechtigte war tagelang nicht zu erreichen.

„Ich finde es pervers, daß sich eine Berufsgruppe selbst kontrolliert in solch einem brisanten Bereich“, sagt die Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe, „es kann nicht angehen, daß man die Ethik der eigenen Arbeit bewertet“. Zumal es bei Versuchen am Menschen, vor allem im Reproduktionsbereich, oft um viel Geld für die ForscherInnen gehe. Eine Kontrolle des Nutzens und Risikos solcher Versuche für die PatientInnen traut Hauffe deshalb einer nur aus ÄrztInnen bestehenden Kommission nicht zu.

Dabei gebe es erheblichen ethischen Überprüfungsbedarf: „Allein, was hier in der Reproduktionsmedizin läuft, gerade im Diako...“ Auf Nachfrage habe die Klinik zwar immer beteuert, man bewege sich im gesetzlichen Rahmen, doch Ulrike Hauffe hat so ihre Zweifel, zumindest Fragen. Nur ein Beispiel: Zwar dürfen nach einer künstlichen Befruchtung außerhalb des Körpers der Frau nur drei Eier in den Uterus zurückgeschwemmt werden (um Mehrlingsschwangerschaften zu vermeiden), doch züchte das Diako auf jeden Fall mehr Eier. Frage also: Was passiert mit den restlichen? Offiziell ist eine Verwertung verboten.

Doch auch bei der Landes-Ethickommission für Medikamentenversuche ist längst nicht alles Gold, sagt Edeltraud Paul-Bauer, die für die PatientInnenstelle (Hamburger Straße) in der Kommission sitzt. Allein die Besetzung: Die vom Gesundheitssenator berufene Kommission setzt sich zusammen aus sieben Ärzten, dem Präsidenten der Ärztekammer, einem Pharmakologen, einer Biostatistikerin, einem Apotherker, einem Juristen, einem Gewerkschafter, einem Krankenhauspfarrer, einem Krankenkassen-Vertreter und einer Vertreterin der Patientenschutzverbände. Mit anderen Worten: 11 VertreterInnen der medizinischen Seite, fünf der PatientInnen und der Ethik. Prinzipielle Bedenken zum Beispiel gegen Wachstumshormone bei Kindern können da leicht überstimmt werden, so Edeltraud Paul-Bauer.

Doch um prinzipielle ethische Bedenken scheint es ohnehin selten zu gehen in der Landes-Ethikkommission. 1994 wurden von 25 Studienanträgen 4 abgelehnt – jedoch nicht wegen ehischer Bedenken, sondern wegen „Bedenken hinsichtlich der Qualität der Studienkonzeption oder möglichen wissenschaftlichen Aussagekraft“, so der dünne Jahresbericht.

Die meisten Medikamentenversuche sollten grundsätzlich hinterfragt werden, sagt der Arzt Johannes Spatz. Begründung: Sie dienten allein finanziellen Interessen der Pharmaunternehmen. Meist machten Pharmafirmen nur deswegen Versuche, weil sie an ein bei der Konkurrenzfirma gut laufendes Medikament ein Molekül anhängen möchten, um dieses Medikament ebenfalls zu vermarkten. Wirklich neue Substanzen gebe es in der Bundesrepublik pro Jahr maximal zwei.

Die KritikerInnen fordern statt der üblichen „Ärzteschutzkommissionen“ eine „Patientenschutzkommission“ mit PhilosophInnen, SozialarbeiterInnen und SozialwissenschaftlerInnen, TheologInnen, Frauen aus Frauengesundheitszentren... ÄrztInnen wären nur als wissenschaftlicher Beirat zugelassen - ohne Stimmberechtigung. cis