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SanassouciNachschlag

■ Nix Schwanensee: Junge ChoreographInnen in der Akademie

Neunundneunzig Prozent sei Handwerk und vielleicht ein Prozent Begabung, pflegte Georg Balanchine, einer der wichtigsten Choreographen dieses Jahrhunderts, Fragen nach dem Geheimnis seiner Kunst abzuwehren. Es ist noch kein Künstler vom Himmel gefallen. Alles Knochenarbeit. Beim Tanz sowieso. Und ein wirklich guter Choreograph kann im allgemeinen nur werden, wer über eigene Tanz-Erfahrungen verfügt. Denn anders als im Schauspiel, wo schauspielerische Dilettanten nichtsdestotrotz geniale Regisseure sein können, ist zur Entwicklung einer eigenen Tanzsprache nur fähig, wer die Bewegungsmöglichkeiten des Körpers wirklich kennt – und die kann man eben keinem Buch entnehmen, sondern nur am eigenen Leibe erfahren. Daraus folgt: In den Tänzern von heute schlummern die großen (und kleinen) Choreographen von morgen, und um die eigenen Fähigkeiten zu entdecken, brauchen die Tänzer die Chance zu einer eigenen choreographischen Praxis.

Diese zu ermöglichen, haben sich Jörg und Judith Frege mit dem 1990 gegründeten Forum „Junge Choreographen“ zur Aufgabe gemacht. Nachdem vor einer Woche fünf Kresnik-Tänzer an der Volksbühne ihre choreographischen Experimente präsentierten, zeigten am vergangenen Wochenende Tänzer der Deutschen, Komischen und Staatsoper, der Volksbühne und der Freien Szene in der Akademie der Künste insgesamt elf rund zwanzig Minuten lange Tanz-Stücke: ein Choreographen-Marathon. Die Akademie platzte aus allen Nähten, das Niveau, vor allem am ersten Abend, war enorm, die Begeisterung groß und: keine Spur von Schwanensee. Die eigenen Tanz-Phantasien scheinen mit dem, was die Tänzer dem Berliner Publikum zwischen sechzig und achtzig Abende im Jahr an der Oper präsentieren, wenig zu tun zu haben. Statt dessen: Lust am Schrillen, Skurrilen und auf alle Fälle am Modernen.

In Gonzalo Galgueras insgesamt eher harmlosen „Diferentes Diferencias“ gab es eine kurze, wunderbare Reflexion über die eigene Tanz-Technik. José Cruz zeigte eine mutige, nicht karikierende, auf der Grenze zum Kitsch balancierende, schwule Phantasie: ein Reigen antik-schöner, im Tanze sich vereinigender Jünglinge einer sich völlig selbst genügenden Männerwelt, getanzt von den männlichen Stars der Deutschen Oper. Judith Frege hat zu Ravels abgenutztem „Bolero“ einen eigenen Zugang gefunden und ein theatralisch sehr wirksames, vom Komischen ins Gewalttätige umschlagendes Stück über die Macht des Kollektivs, über das Verhältnis von Tätern und Opfern inszeniert. Das sicher beste und atmosphärisch dichteste Stück kam von einem Gast aus Stuttgart: Marco Santi, choreographisch schon erfahrener und vom Stuttgarter Ballett vorzüglich unterstützt, hat mit „The tears of niobe“ ein tänzerisch sehr reduziertes, wunderschönes Stück über die Trauer entworfen. Zwar hat er alle anderen ausgestochen, war aber auch der Beweis, wohin choreographische Förderung führen kann. Die hätte sicher auch Younes Laraki verdient, der über eine höchst eigenwillige Phantasie verfügt und das sicher komischste Stück der Reihe zeigte, allerdings gleich in den ersten fünf Minuten seine besten Gags versprühte und die von ihm selbst vorgegebene Geschwindigkeit nicht halten konnte. Michaela Schlagenwerth

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