■ Was nach dem Ende des Waffenstillstandes in Bosnien?
: „Wir sind auf dem richtigen Weg!“

Vorbemerkung: Ich traf Ejup Ganić, den Vizepräsidenten Bosnien-Herzegowinas und zweiten Mann hinter Izetbegović, am 29.4. in Jablanica (Zentralbosnien).

taz: Die internationale Gemeinschaft macht Druck, damit Ihre Regierung das Waffenstillstandsabkommen verlängert. Was aber ist Ihre Entscheidung?

Ejup Ganić: Wir haben schon einige Abkommen geschlossen, um die Lage um Sarajevo zu beruhigen. Februar 1994 wurde mit den Karadžić-Serben vereinbart, den Artilleriebeschuß auf die Stadt einzustellen. Außerdem wurde ein Abkommen über die „blauen Routen“ [von den Kriegsparteien für die Versorgung durch die UNO freigegebene Straßen; d.R.] geschlossen. Es gibt also schon einen Rahmen, um eine stabilere Situation zu erreichen.

Die internationale Gemeinschaft hat jetzt die Aufgabe, Druck auf die Karadžić-Serben und Milošević auszuüben. Vor allem auf Milošević. Wenn dieser Bosnien- Herzegowina anerkennen würde, könnten wir ein Waffenstillstandsabkommen verlängern. Und zwar deshalb, weil wir glauben, daß die Okkupation eines großen Teils des bosnischen Territoriums dann kein Fait accompli wäre. Die Karadžić- Serben könnten sich dann nicht sicher sein, ob sie den Status quo in den eroberten Territorien erhalten können. Wenn wir das Waffenstillstandsabkommen jetzt aber verlängerten, würde Karadžić dies als Anerkennung der Okkupation dieser Gebiete für weitere vier Monate interpretieren. Und schon jetzt wäre sicher, daß nach Ablauf dieser Frist die internationale Gemeinschaft nur noch mehr Druck auf uns ausüben würde, um wiederum den Waffenstillstand zu verlängern. Das liefe auf das Modell Zypern hinaus.

Wir werden den Waffenstillstand jetzt nicht verlängern, um der internationalen Gemeinschaft die Gelegenheit zu geben, den Plan der Kontaktgruppe endlich durchzusetzen. Würde akzeptiert, daß Karadžić alle vier Monate die Okkupation von 70 Prozent des Landes bestätigt bekommt, ist jeglicher Friedensprozeß irrelevant.

Was ist denn die Alternative?

Die Alternative ist, daß alles so bleibt, wie es ist.

Es gibt Gerüchte, die bosnische Armee wolle jetzt Sarajevo und die Enklaven befreien.

Solche Gerüchte gibt es seit drei Jahren. Eines Tages, wenn wir dazu in der Lage sind, werden wir das auch tun, aber nicht jetzt. Wir brauchen Waffen, sind militärisch nicht stark genug, um Sarajevo zu befreien. Nach Ablauf des Waffenstillstandes planen wir keine Offensive, es wird nicht viel passieren.

Sie hatten in den letzten Wochen militärische Erfolge vorzuweisen. Wie beurteilen Sie die Lage um den Posavina-Korridor um Brčko herum, dem wichtigsten strategischen Punkt für alle okkupierten Gebiete, ob in Bosnien oder Kroatien. Gelänge es Ihnen, diesen Korridor zu durchtrennen, wäre der größte Teil der serbischen Eroberungen von Serbien abgetrennt. Aber für eine solche Aktion braucht Bosnien kroatische Hilfe. Wird Kroatien eine solche Aktion unterstützen?

Die Karadžić-Serben haben kürzlich bei Brčko angegriffen, wir halfen der kroatischen HVO, und wir haben zusammen die serbischen Streitkräfte zurückgeschlagen. Solche Erfolge schweißen zusammen. Ein Teil der Frontlinie in Bosnien-Herzegowina wird durch die kroatische HVO gehalten.

Erwarten Sie irgendeine Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft oder von seiten der Vereinigten Staaten?

Diplomatisch ja, militärisch nein. Die Aufhebung des Waffenembargos wird schon seit langem von uns gefordert.

Haben Sie jemals den Mut verloren?

Nein, niemals. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, wir haben das Land in einer gewissen Weise gerettet, wir sind eine anerkannte Nation, Mitglied der UNO, unsere Armee ist stark geworden. Wir können nicht mehr vernichtet werden, und es ist einfach eine Frage der Zeit, wann sich das Blatt entscheidend wendet.

Glauben Sie an ein Bosnien- Herzegowina, das von der Drina bis Mostar und Bihać reicht?

O ja, ich glaube, daß Bosnien diesen Krieg überlebt und daß Bosnien als Ganzes existieren wird. Wir haben die Teilungspläne in Bosnien niemals akzeptiert, und wir haben jetzt eine starke Armee. Zweitens kann die internationale Gemeinschaft aus eigenem Interesse der Teilung des Landes nicht zustimmen. Dies hätte einen Effekt auf andere Regionen, viele Mächte würden Grenzen verändern wollen. Dies brächte neue Kriege. Das kann niemand wollen.

Wie geht es eigentlich in der kroatisch-bosnischen Föderation voran? In Mostar wird kritisiert, der Administrator der EU, Hans Koschnick, schaffe zwei unabhängige Städte, die durch eine neue „Berliner Mauer“ getrennt sind.

Nein, das ist nicht die Idee in Mostar, das glaube ich nicht. Langsam geht es vorwärts mit der Föderation, die Radikalen werden allmählich eingeschränkt und zurückgedrängt. Ich denke, eines Tages nehmen sie ihr Geld und verschwinden irgendwohin.

Hat die Föderation mehr Chancen auf Verwirklichung, je stärker die bosnische Armee ist?

Ich denke, die Armee wird mit der Zeit immer stärker werden. Aber entscheidend ist, daß die Mehrheit der Kroaten auch für die Föderation ist, nicht nur die Mehrheit der Muslime. Die Föderation ist der einzige Weg, das sehen immer mehr Menschen ein. Und da sie zudem von Deutschland und den USA gestützt wird, wächst ihr von außen Kraft zu.

Noch im Januar hat der kroatische Präsident Tudjman ein Doppelspiel getrieben, einerseits die Föderation zu befürworten, andererseits heimlich mit Milošević auch über die Aufteilung Bosniens zu verhandeln. Glauben Sie, dieses Doppelspiel hat jetzt aufgehört?

Ich hoffe es.

Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, gegen Karadžić und andere des Kriegsverbrechens Verdächtige zu ermitteln?

Es ist ein positiver Schritt, das serbische Volk muß jetzt darüber nachdenken, was er bedeutet. Immerhin kann die internationale Gemeinschaft diese Leute vor Gericht stellen und so eine Botschaft nach Bosnien schicken: daß Kriegsverbrechen doch verfolgt werden. Dies ist ein Schritt auf den Frieden zu.

Wer sind eigentlich in Ihren Augen die Freunde Bosnien-Herzegowinas?

Wir haben keine militärischen Alliierten. Wir haben Freunde, die sich Sorgen machen, aber militärisch nicht helfen. Alle, die nicht wirklich helfen können, sind also mit uns.

Und alle, die militärisch helfen könnten, bleiben neutral?

Ja, alle die wirklich helfen könnten, bleiben neutral, so ist es leider. Interview: Erich Rathfelder