Die alte Linke steht im Abseits

Großbritanniens Labour-Partei gab sich am Wochenende auf ihrem alkoholfreien Londoner Sonderparteitag ein neues Gesicht / Hellgrün statt rot, Markt statt Staat  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Die „alte Labour Party“ mußte draußen bleiben. Während rund tausend Delegierte der britischen Oppositionskraft in der Methodistenhalle im Londoner Regierungsviertel ihr Parteiprogramm neu schrieben, protestierten vor der Halle etwa zweihundert Trotzkisten gegen die Sozialdemokratisierung. Per Megaphon übertönten sie die offiziellen Lautsprecher, die die Proteste stören sollten. Es war aber nicht mehr als ein letztes Aufbäumen der Altlinken. Der Tag gehörte den Neuen.

Der „Geburtsort der neuen Labour Party“, wie Parteichef Tony Blair es nannte, hatte Symbolkraft: In der Methodistenhalle gleich neben der Westminster-Abtei hatte die Partei vor gut fünfundsiebzig Jahren die „Clause 4“ in ihr Programm aufgenommen. Diese Klausel verpflichtete die Partei zumindest theoretisch, sich für das öffentliche Eigentum an den Produktionsmitteln einzusetzen. Kaum hatte Blair im vergangenen Jahr die Nachfolge des verstorbenen John Smith angetreten, da sagte er der Klausel den Kampf an. Und fast mit Zweidrittelmehrheit warfen die Delegierten jetzt die alte Klausel über Bord und stimmten für eine neue Formulierung, in der sich die Labour Party den Kräften der freien Marktwirtschaft und den Gesetzen des Wettbewerbs unterwirft.

Viele hatten dabei offenbar ein schlechtes Gewissen, denn Blair erhielt bei seiner einleitenden Rede immer dann Szenenapplaus, wenn die alten Schlagworte fielen: „Einsatz für die Arbeiterklasse“, „Mindestlohn“, „Sozialcharta“, „Gerechtigkeit und Gleichheit“. Wenn Blair von der „definitiv neuen, echten“ Labour Party sprach, so spottete hinterher der konservative Premierminister John Major, klang es manchmal, als wolle er ein Waschmittel anpreisen. Die Debatte nach Blairs Rede begann mit einem kleinen Paukenschlag: Bergarbeiterführer Arthur Scargill sprach dem Sonderparteitag das Recht ab, an dem Parteiprogramm herumzudoktern. Das könne laut Satzung nur ein ordentlicher Parteitag, sagte er, bevor er durch rythmisches Klatschen der Delegierten von der Bühne – statt rot war sie diesmal ganz in hellgrün gehalten – vertrieben wurde. Bill Morris und Rodney Bickerstaffe, die Vorsitzenden der beiden größten Gewerkschaften, sprachen sich „schweren Herzens, aber mit klarem Kopf“ gegen die Änderung der Klausel 4 aus.

„Viele meinen, daß wir heute Geschichte schreiben“, sagte eine junge Delegierte aus Yorkshire in der Pause, „das mag sein. Aber das Überraschungselement fehlt.“ Blair hatte nichts dem Zufall überlassen, seit um Weihnachten bekanntgeworden war, daß die meisten Labour-Regionalvorstände an der alten Klausel festhalten wollten. Blair initiierte eine Brief- und Vortragskampagne. In einer Urabstimmung votierten schließlich 85 Prozent der einfachen Parteimitglieder gegen ihre Vorstände und für „New Labour“.

Die Schwarze Diane Abbott, Aushängeschild der Linken im Parteivorstand, höhnte: „Hätte Blair sich eine Stimme für die Heilkräfte von Blumenkohl erbeten, hätte er sie ebenfalls bekommen.“ Andere Linke nahmen die Abstimmung gelassener hin. „Es war eine lebendige Debatte“, sagte Bill Morris zur taz. „Es gibt ja auch eine echte Verbesserung in der neuen Formulierung: Da ist jetzt die Rede von internationaler Solidarität, und viele Menschen in anderen Ländern setzen ihre Hoffnungen auf die Labour Party.“ So zweifelte am Wochenende niemand mehr an einem Labour-Sieg in zwei Jahren – nicht einmal Premierminister Major, der gestern noch einmal das rote Schreckgespenst bemühte und die neue Labour Party mit dem Wolf verglich, der sich als Rotkäppchens Großmutter verkleidet.

Selbst der einstige linke Führer des abgeschafften Stadtrats von London, Ken Livingstone („Red Ken“), bedauerte lediglich den Bruch mit der Labour-Tradition, auf Parteitagen Alkohol auzuschenken. „Deshalb stürmen jetzt alle aus dem Saal“, sagte Livingstone, „sie wollen so schnell wie möglich zu Tony Blairs Party.“

Die fand im benachbarten „Queen Elizabeth II. Conference Centre“ statt. Als Blair die vierzig Meter hinüberlief, wurde er von den Buhrufen einer Handvoll DemonstrantInnen begleitet. Blair winkte ihnen hämisch zu – ein Abschiedsgruß an die Linke.