Indien und das Kriegsende in Europa: Die Frontschweine und das Empire
■ taz-Serie: Was am 8. Mai außerhalb Europas geschah
„Kriegsende am 8. Mai? Stimmt doch gar nicht! Das ist eure typische westliche Arroganz. Der Weltkrieg ging noch drei volle Monate weiter, bis in Hiroshima die Bombe niederging und die japanische Armee kapitulierte. Am 8. Mai haben wir hier noch hart gekämpft.“ – „Hier“ heißt in diesem Fall Birma, und „wir“ waren die Soldaten und Offiziere der Indischen Armee, zu denen auch D. K. Palit gehörte, der damals ein junger Leutnant war und heute als General a. D. militärhistorische Bücher schreibt.
Indische Soldaten und Offiziere kämpften an allen Fronten an der Seite ihrer Kolonialherren. Wenn man im Gymkhana-Club von Delhi einen älteren Sikh- Gentleman anspricht, ist die Chance gut, daß er von Tobruk oder Monte Cassino zu berichten beginnt. Noch wahrscheinlicher wird er von der Sittaung Bridge oder Arakan oder Kota Baru erzählen, denn der Weltkrieg war für Indien vor allem der Kampf gegen die Japaner gewesen, die das britische Kronjuwel begehrten.
Aber es war nicht nur die nähere Entfernung, welche den Krieg in Birma für Indien viel realer machte. Es war auch die schmerzliche Einsicht, daß Inder auf beiden Seiten einen Stellvertreterkrieg ausfechten mußten. Denn im Gefolge der japanischen Divisionen marschierte auch die „Indian National Army“ des Nationalisten Subhas Chandra Bose, der auf diese Weise die englischen Kolonialherren aus Indien vertreiben wollte.
Bose hatte zuerst in Berlin bei den Nazis antichambriert, die aber mit dem farbigen Untermenschen wenig anzufangen wußten und ihn per U-Boot an die Japaner abschoben. In Birma standen dann auf der einen Seite die Offiziere und Soldaten der indischen Armee, die den Fahneneid auf den britischen König und „Emperor of India“ geschworen
hatten, auf der anderen Seite stand Bose, der „Verräter“. Denn kein Geringerer als Mahatma Gandhi hatte gesagt, Indien dürfe England in der Stunde seiner größten Not nicht in den Rücken fallen.
Der japanische Angriff auf Indien blieb schließlich bei den Grenzorten Imphal und Kohima stecken, und Bose, der bei einem rätselhaften Flugzeugunfall noch vor Kriegsende ums Leben kam, ist inzwischen längst ins Pantheon der indischen Freiheitshelden aufgenommen worden. Doch das alte Dilemma zwischen Fahneneid und Befreiungskampf ist für den bald achtzigjährigen Exgeneral Palit noch heute ein Reizthema. Es wird noch verschärft durch die Erinnerung an den Rassismus des britischen Offizierskorps gegenüber indischen Kollegen. „Sie haßten uns. Es gab keine sozialen Kontakte, und im Dienst betrieben sie pure Apartheid. Aber gleichzeitig waren sie die besten Soldaten der Welt.“
Berichte aus den Schlachtorten im Westen vertieften die Bewunderung für die alliierte Streitmacht. Gleichzeitig erinnerte man sich des abschätzig-rassistischen Spotts von Churchill, der Gandhi einen „halbnackten Fakir“ genannt hatte. Erst als der Kolonialherr nach Kriegsende drei Offiziere der INA – einen Hindu, einen Muslim und einen Sikh – stellvertretend für den „Verrat“ an der Krone hängen wollte, kam es zu Protesten. Prominente Politiker übernahmen deren Verteidigung, und Offiziere wagten erstmals offenen Widerspruch: „Wenn wir in Indien den Gedächtnistag des Kriegsendes – notabene in drei Monaten – feiern wollen, dann deshalb: wir hielten als Soldaten unsere Treue, solange wir gegen den gemeinsamen Feind kämpften. Aber wir ließen uns nicht zu Marionetten der britischen Kolonialpolitik degradieren.“ Sie mußten nicht lange warten. Zwei Jahre später war Indien unabhängig. Bernard Imhasly
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