■ Gerade hatte Zadek das Berliner Ensemble verlassen, gerade machte man es sich dort mit Brecht und Müller gemütlich, da kaufte Wessi Hochhuth den Ossis die Bühne weg. Aber seine Idee - Hochhuth-Festspiele - wird...: Die Hochhuth-Maschine
Gerade hatte Zadek das Berliner Ensemble verlassen, gerade machte man es sich dort mit Brecht und Müller gemütlich,
da kaufte Wessi Hochhuth den Ossis die Bühne weg. Aber seine Idee – Hochhuth-Festspiele – wird kaum durchkommen
Die Hochhuth-Maschine
Rolf Hochhuth, wissen die Literaturlexika, entstammt einer „bürgerlichen Kaufmannsfamilie aus Nordhessen“. Künftig wird man über dieses beiläufig mitgeteilte Faktum nicht mehr so leicht hinweglesen. Seit letztem Wochenende wird nämlich ein kaufmännisches Talent dieses Autors offenbar, das seine ohnehin mäßige literarische Fortune tief in den dunkelsten Schatten stellt.
Rolf Hochhuth macht Anstalten, das Theater am Schiffbauerdamm, Brechts Berliner Ensemble, zu kaufen.
Wie er die Sache eingefädelt hat, das entlockte selbst Heiner Müller, dem künstlerischen Leiter des Berliner Ensembles, einen respektvollen Seufzer in Form eines abgewandelten Brecht-Zitats: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen den Kauf einer Bank?“
Hochhuth hatte sich zuvor wiederholt um eine Mitarbeit am BE beworben, zuletzt in diesem Frühjahr in einem Brief an Heiner Müller – ergebnislos. Jetzt läßt der Veschmähte die Unwilligen spüren, was es heißt, ihn zu verprellen. In den spekulationsfreudigen achtziger Jahren wurde an den Börsen der Begriff geprägt, der einzig trifft, was Hochhuth derzeit mit dem BE anstellt: „unfreundliche Übernahme“.
Am 24. April wurde der Geschäftsführung des Theaters mitgeteilt, daß Rolf Hochhuth sich bei den Alteigentümern ein Vorkaufsrecht auf das Haus für eine Million Mark gesichert habe. Eine Überraschung nicht nur für das Ensemble, sondern auch für die Berliner Kulturverwaltung, die es bislang mit zwei konkurrierenden Restitutionsansprüchen zu tun hatte – mit dem des Maschinenschlossers Klaus Wertheim und dem der Erbengemeinschaft des Kaufhauses Saloschin, beide in New York ansässig.
Hochhuths selbstlose Kulturarbeit für Hochhuth
Das 1891/92 als „Neues Theater am Schiffbauerdamm“ gebaute Haus diente zeitweilig als Operettenbühne. Es gehörte der „Neuen Operettenhaus GmbH“, die wiederum dem New Yorker Kaufhaus Saloschin gehörte. Ab 1925 ein Schauspiel-Uraufführungshaus, ging das Theater 1938 in den Besitz von Klaus Wertheim über, der mit der jüdischen Kaufhaus-Dynastie gleichen Namens verwandt ist. Weil die Kulturverwaltung mit den konkurrierenden Ansprüchen konfrontiert war, konnte nicht verhandelt werden, und man ließ die Sache bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit auf sich beruhen.
Was niemand ahnte: Am 17. Mai 1993 bereits hatte Rolf Hochhuth beim Regierungspräsidenten in Stuttgart eine Stiftung eintragen lasen. Sie trägt den Namen seiner Mutter Ilse Holzapfel und soll sich, so das Statut, „ausschließlich und unmittelbar der selbstlosen Förderung von Kunst und Kultur“ (§ 2.1.) widmen. „Selbstlos“! Welch eine Chuzpe, wenn man noch im gleichen Absatz erfährt, daß Hochhuths Stiftung „folgende Maßnahmen im Theater am Schiffbauerdamm“ ermöglichen soll. Erst heißt es noch, es sollen „Aufführungen von Werken politisch- gesellschaftskritischer Bühnenautoren ausschließlich des 20. Jahrhunderts, die im Geiste Bernard Shaws und Erwin Piscators schrieben“, stattfinden.
Dann, unter Paragraph 2.1.c, wird Tacheles geredet: „Unterstützung bedürftiger jüdischer Waisenkinder (aus dem Erlös der Aufführungen von Rolf Hochhuths Trauerspiel ,Der Stellvertreter')“. Und zwei Seiten weiter heißt es schön lakonisch: „Die Stiftung darf höchstens ein Drittel ihres Einkommens dazu verwenden, um in angemessener Weise den Stifter und seine nächsten Angehörigen zu unterhalten, ihre Gräber zu pflegen und ihr Andenken zu ehren“ (Paragraph 3.7.). Noch zwei Seiten weiter enthüllt sich in einem unscheinbaren Passus der wahre Zweck der Stiftung – die Umwidmung des Berliner Ensembles zu einem Hochhuthschen Bayreuth. Als Ehrenmitglieder sind dort nämlich „Herr Klaus Wertheim und seine Ehefrau Jane Wertheim“ genannt, die eine Partei der Alteigentümer mithin, denen Hochhuth das Theater abgeschwatzt hat.
Wenn diese es nun für einen unabdingbaren Beitrag zur Berliner Gedenkkultur halten, an jedem 18. Oktober Hochhuths „Der Stellvertreter“ am BE aufzuführen, um damit der 54.000 an diesem Tage im Jahr 1942 deportierten Berliner Juden zu gedenken, dann kann man ahnen, welches Bild Hochhuth von der Geschichtsvergessenheit hierzulande ihnen gegenüber gezeichnet haben muß. Kann man es noch mit seiner notorischen Eitelkeit entschuldigen, wenn sich Hochhuth derart in Szene setzt und aus dem notwendigen Gedenken ein alljährliches Bühnenweihfestspiel zu seinem kleinen privaten Ruhm macht?
Die geplanten Hochhuthschen Gedenkfestspiele sind eine Geschmacklosigkeit sondergleichen, und manchmal sind, nach einem Satz von Joseph Roth, Geschmacksfragen eben gleichzeitig Fragen der politischen Moral.
Aber aller Wahrscheinlichkeit nach bekommt Rolf Hochhuth gar nicht die Chance, sich wie beabsichtigt um den letzten intellektuell-moralischen Kredit zu bringen.
„Ein totales Novum in der Weltgeschichte“
Denn erstens muß geklärt werden, ob die Stiftung überhaupt rechtmäßig ist. Möglicherweise haben die Stuttgarter Behörden nicht gewußt, daß es sich bei dem in der Satzung erwähnten Theater am Schiffbauerdamm um das traditionsreiche BE handelt. Zweitens müssen die tatsächlich bestehenden Verbindlichkeiten zwischen Rolf Hochhuth und den beiden Alteigentümern überprüft werden. Die Verträge sind bislang der Öffentlichkeit noch nicht vorgelegt worden. Drittens kann die Stiftung höchstens in den Besitz des Theaterbaues kommen, denn Anspruch besteht ausschließlich auf das Haupthaus ohne Grundstücke und Nebengebäude, womit ein geregelter Theaterbetrieb von einem entsprechenden Pachtvertrag mit dem Land Berlin abhinge. Viertens müßte die Stiftung sehr viel Geld aufbringen, um einen Schauspielbetrieb zu gewährleisten, wie ihn die Satzung will.
Und vor dem 1. 1. 1998 wird sich an der derzeitigen Direktion und am Spielplan des Berliner Ensembles nichts drehen lassen. In der Zwischenzeit kann sich der Dramatiker von „Wessis in Weimar“ ja ein neues Stück ausdenken. Vorgeschlagenes Vorspiel auf dem Theater: Auftritt der Dichter als „Stellvertreter“ von Westen her, im Gefolge die „Juristen“. Es folgt eine Zitatmontage aus den Akten der Treuhand. Dann zitiert sich der Dichter mit leuchtenden Augen selbst: „Ein totales Novum in der Weltgeschichte,/ eine Variante des Kolonialismus,/ wie er nirgendwo gegen Menschen/ des eigenen Volkes je praktiziert wurde!“ Vorhang. Jörg Lau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen