Fassade ohne Gesicht

■ Büro aus Hannover entschied den „Übermaxx“-Wettbewerb für sich

„Kinopalast“ – das ist ein Wort aus der Vergangenheit. Nennenswerte Kinoneubauten gibt es in Deutschland schon seit dem Ende der Weimarer Republik nicht mehr – wozu auch? Mit der Geschäftspraxis, das Publikum in Schachtelkinos zu zwängen und dort nach Fast-Food-Manier zu verköstigen, ist auch die Idee des Kinos als spezifischem Ort, als gesellschaftlichem Treffpunkt obsolet geworden. Konsequent, daß man seither auch auf eine markante Gestaltung verzichtete: Die Kinos der 70er und 80er Jahre sind im Gedächtnis eher als Unorte präsent, als notdürftig umgebaute Kauf- und Parkhäuser – gesichtslos, reizlos bis auf die grelle Filmreklame.

Nun aber soll das Kino wieder zum „Erlebniskino“ werden. So versprechen es zumindest die potenteren Kinoketten, die mit dieser Parole neues und altes Publikum gewinnen wollen. Daß zum neuen Erlebnis auch ein gepflegtes Haus gehört, hat man ab Mitte der 80er Jahre allmählich kapiert. Nun darf man wieder von „Kinopalästen“ sprechen, oder doch zumindest von Kinoarchitektur. Allen voran segelt die Flotte der „Cinemaxx“-Zentren des Hamburger Unternehmers Flebbe. Der nächste seiner Kinokomplexe soll in Bremen entstehen, unter einem Dach mit einer neuen Schausammlung des Überseemuseums. Der Architekturwettbewerb für das Doppelhaus, das längst unter dem Spitznamen „Übermaxx“ firmiert, ist nun entschieden: Eine Fachjury gab den 1. Preis an das Büro Haak, Krüger & Partner aus Hannover, das am Bahnhofsplatz einen kubischen Kinopalast mit verspielten Fassaden errichten will.

Von der Eleganz früherer Lichtspielhäuser ist hier zunächst einmal nichts zu spüren – wie auch: Die Anforderungen sind immens gewachsen; nicht einer, sondern zehn Kinosäle sind hier unterzubringen, plus eine „gläserne Schausammlung“ für völker- und naturkundliche Museumsstücke. So wollen die Preisträger den zur Verfügung stehenden Platz, direkt neben dem Übereseemuseum, auch bis auf den letzten Quadratmeter ausreizen. Das Ergebnis ist ein kompakter Bau mit nahezu quadratischem Grundriß; der zentrale Kinokomplex wird dabei von zwei schmaleren Museumstrakten umfaßt. Was die Preisrichter für diesen Vorschlag einnahm, war vor allem die Verbindung der scheinbar völlig disparaten Inhalte, von Kino und Museum: Ein riesiges „Museumsfenster“ vermittelt zwischen der Schausammlung und dem Kinofoyer. So wird die Idealvision der Bremer Museumsleute wohl Wirklichkeit – daß die Besucherinnen und Besucher, die eigentlich zum Filmvergnügen ins Haus kommen, auch mal einen Blick in die Schatztruhe des Museums werfen können.

Zweifelhaft erscheinen hingegen die Erlebnisqualitäten, die der Neubau von außen verspricht. Damit der Klotz nicht wirklich klotzig wirkt, soll die Fassade kleinteilig zergliedert werden. Nun wirkt sie wie ein Rundgang durch die Postmoderne: ein paar Meter strenge Granitfassade, durchbohrt von schießscharten-schönen Gucklöchern; ein paar Meter hermetische Betonwand; an der Ecke dann das blanke Betonskelett samt gläsernem Vorhang a la Gropius. Was als Auflockerung gedacht ist, endet hier in hektischer Verspieltheit.

Noch putziger sind die Vorschläge, die dem Hannoveraner Büro zu den Materialien ihrer Fassade einfiel. „Die Oberfläche kann sowohl edel als auch ruppig sein – Materialmix nennt man einen Trend in der Mode!“, heißt es da. Sichtbeton, Lochbleche, Glas, Metall und natürlich der unvermeidliche gestreifte (“gebänderte“) Granit – es scheint, als wollten die Architekten hier den alten Vorwurf „postmoderner Beliebigkeit“ mit Gewalt erfüllen. Die Ausstrahlung des Hauses? Ein wenig „Hightech“, ein bißchen was „Hanseatisch-Traditionelles“ oder auch was „Plüschiges“ wie aus den 50er Jahren – anything goes, oder, andersherum formuliert: Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein.

Da paßt es, wenn zur Krönung des Hauses ein gänzlich unsinniges Zeichen draufgesetzt wird: ein Kugelsegment, das die Katalogabteilung des Museums beherbergen soll. Schon schwirrt im Museum der Spitzname „Kaffeetasse“ umher. „Sprung in der Schüssel“ wär auch nicht verkehrt.

Was den Preisträgern aus der Hand gegelitten ist – in einem anderen Entwurf des Wettbewerbs ist es gelungen. Der mit dem dritten Preis bedachte Kinobau des Hamburger Büros Kleffel, Köhnhold und Gundermann zeigt, wie man (Kino-)Architekturgeschichte auch sinnvoll und beziehungsreich beleihen kann. Schlichte Fassaden aus Granit und vor allem Glasbaustein umschließen den Bau; vor allem aber erinnert die schiffsbugartig geschwungene Eingangshalle an die großen Theater- und Kinohäuser der 20er Jahre. Im kreisrunden Foyer schließlich ist neben den Aufgängen zu den Kinos und Museumstrakten eine elegante Bar vorgesehen. Zu teuer, sagen die Experten. Vor allem der kühn ausladende Foyerbereich, auf Stelzen über den derzeitigen Busbahnhof geführt, entspreche nicht den engen Grenzen der Ausschreibung. Das ist korrekt – aber die Möglichkeit, hier ein neues Plätzchen zu gewinnen, auf dem man sich sommers treffen könnte – zum Freilichtkino? – ist das Geld allemal wert.

Aber jetzt geht der Planungsauftrag an den ersten Sieger. Er soll nun vor allem die genauen Kosten ermitteln – 40 Millionen will Flebbe investieren, die Stadt will am Ende nicht mehr als 32 Millionen dazuzahlen. Dabei sollte das Büro auch den Satz der Jury nicht vergessen: „Die vorgeschlagene Fassadengestaltung bedarf weiterer Bearbeitung.“ Und ob dabei „jedes Detail auch realisiert wird, kann man noch nicht sagen“, hieß es gestern vieldeutig im Museum. Thomas Wolff

Die vier preisgekrönten Entwürfe und Modelle sind bis 14. Mai im Überseemuseum ausgestellt