Keine Lust, den Vorzeige-IM zu spielen

■ Das ehemalige PDS-Vorstandsmitglied Rainer Börner (38) über den Vorschlag, bei den Wahlen zusammen mit Bärbel Bohley für Bündnis 90/Die Grünen zu kandidieren / Entscheidung hängt auch von...

taz: Eine bündnisgrüne Basis- Initiative fordert die Partei auf, Sie und Bärbel Bohley gemeinsam auf die offene Liste zu wählen. Man gewinnt den Eindruck, sie beide sind ein wenig erstaunt, wie schnell die Öffentlichkeit informiert worden ist. Hat man Sie überrumpelt?

Rainer Börner: Ich war schon überrascht, als ich Anfang April gefragt wurde, habe jedoch das Zugeständnis gemacht, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Unsere Entscheidung aber halten wir uns bis Anfang nächster Woche offen.

Das klingt, als wollten Sie von den Bündnisgrünen zur Kandidatur getragen werden.

Nein. Eine persönliche Einladung brauche ich nicht. Aber die Art und Weise, wie die Partei mit der Ankündigung umgeht, finde ich schon interessant – insbesondere was den Umgang mit der Geschichte des Ostens angeht. Sicherlich beeinflußt das meine Entscheidung. Ich brauche aber noch Zeit. Auch um mir Rat zu holen.

Sie haben 1990 als Mitglied der PDS-Fraktion vor der Volkskammer in einer spektakulären Rede ihre frühere Tätigkeit für die Stasi offengelegt. Es gibt Stimmen innerhalb der Bündnisgrünen, die dagegen sind, daß ein ehemaliger IM den Wiedereinstieg in die Politik mit einem Mandat beginnt.

Entscheidend ist doch, wie ich mit meiner Geschichte umgegangen bin, und nicht, an welcher Stelle ich mich wieder zu engagieren beginne – ob nun in einem Jugendzentrum oder im Parlament.

Haben Sie Angst, daß Sie in die Rolle des bekennenden IM gedrängt werden?

Ja. Das ist einer der Gründe, warum ich noch nicht definitiv sagen kann, ob ich kandidiere. Natürlich komme ich nicht um meine Stasi-Tätigkeit herum, aber darauf reduzieren lasse ich mich auf keinen Fall. Entscheidend ist, ob es mir mit einer Kandidatur gelingen würde, eigene politische Vorstellungen zu vermitteln. Ich habe keine Lust, den Vorzeige-IM zu spielen.

Vor drei Jahren sind Sie aus der Politik ausgestiegen und haben sich zurückgezogen. Hat Sie plötzlich die Sehnsucht gepackt?

Sehnsucht ist es auf keinen Fall. Natürlich ist das ein großer Widerspruch, mit dem ich mich in den letzten drei Wochen beschäftigt habe. Meine Kritik an Parteienstrukturen, sei es nun bei der PDS oder bei den Grünen, hat sich ebensowenig verändert wie meine Skepsis gegenüber den Möglichkeiten, im Parlament überhaupt politisch wirksame Arbeit zu leisten. Aber seit 1992 habe ich in zahlreichen Diskussionen mit Freunden immer wieder die Frage diskutiert: Was kann man überhaupt noch tun, ohne sich ganz zurückzuziehen? Die Anfrage der beiden jungen Parteimitglieder hat diesen Widerspruch zugespitzt. Mein anfängliches Nein wich der Überlegung, ob es nicht doch Sinn macht, sich über eine offene Liste gesellschaftlich zu engagieren.

Jochen Esser, ein Parteilinker bei Bündnis 90/Die Grünen, sieht in ihrer gemeinsamen Kandidatur die Chance, neue Wähler im Osten zu erreichen. Wären Sie der Lockvogel für die unentschlossenen PDS-Sympathisanten?

Für die meisten PDS-Wähler bin ich doch eher ein Renegat. Ich verstünde unsere Kandidatur als Signal in zwei Richtungen: sowohl an ein durchaus vorhandenes Wählerpotential im Osten als auch in die Partei der Grünen hinein. Interview: Severin Weiland