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Tore gegen Toni

■ Spielerisch kicken wir uns in die TV-Zukunft: Goldene Zeiten für interaktive Fußballshows im Fernsehen

Langsam drängt die Zeit. Das „interaktive Fernsehen“ steht in den Startlöchern und so gewöhnt man uns aller Orten schon mal ans telegene Mitmachen.

Noch allerdings beschränken sich die Übungen weitgehend darauf, Geschicklichkeit im Umgang mit der Telefontastatur unter Beweis zu stellen. Nun wird man über den Sinn und Zweck, mittels eines Telefons einen häßlichen Troll auf einem Skateboard an Hindernissen vorbeizudirigieren, sicherlich streiten können – und selbst Kabel 1-Geschäftsführer Karlheinz Jungbeck definiert das technische Niveau der „Hugo“-Telespiele als lediglich „pseudointeraktiv“.

Weil sich aber gerade diese Simpelkonzepte als unerwartet erfolgreich erwiesen haben, konnten Nachahmer natürlich nicht ausbleiben. Tatsächlich gab es in diesem Jahr auf der 32. MIP-TV in Cannes, einer Messe für Fernsehprogramme, mehr interaktive Angebote als je zuvor.

Kaum hübscher als „Hugo“ sind zum Beispiel die Charaktere aus „Crazy Cartoon Soccer“, produziert von der dänischen Interaktive Television Entertainment (ITE), der die Zuschauer von insgesamt 14 Fernsehsendern auch den nordischen Troll verdanken. Im Unterschied zur „Hugo“-Show können bei der „Soccer-Show“ zwei Fernsehzuschauer telefonisch gegeneinander spielen. Das Prinzip ist nochmals schlichter als bei „Hugo“: Einer hat den Ball und will ein Tor schießen, der andere soll's verhindern.

Da das Ganze genauso dürftig ist, wie es klingt, hat ITE die „Handlung“ um ein paar Gags bereichert. Diese Nebenhandlungen ändern zwar nichts am infantilen Gesamteindruck der Gameshow, doch auch der Erfolg von „Hugo“ stellte sich schließlich abseits hoher ästhetischer und intellektueller Qualität ein. In Deutschland wird „Crazy Cartoon Soccer“ vermutlich ebenfalls auf Kabel 1 zu sehen sein.

Fußball, nicht nur in Europa Quotenbringer Nummer eins, ist auch Motor der „Goal Show“, dem zumindest in Sachen Lautstärke eindeutigen Höhepunkt der 32. MIP-TV. Zu bejubeln war allerdings bloß der „event“; der eigentliche Anlaß wird unter jenen Fußballpuristen, die allenfalls das Torwandschießen im „Aktuellen Sport-Studio“ (ZDF) gerade noch hinnehmen, keine Freunde finden. Immerhin ist es dem Veranstalter, SPI International (New York), gelungen, den früheren Torwart des 1. FC Köln und der deutschen Nationalmannschaft, Harald „Toni“ Schumacher, für die Sache zu begeistern.

Auch das Prinzip der ursprünglich aus der Türkei stammenden „Goal Show“ ist denkbar simpel: Mittelpunkt der Show ist neben dem Torhüter eine auf dem Elfmeterpunkt plazierte Kanone, die sich stetig von rechts nach links und von oben nach unten bewegt. Einzige interaktive Herausforderung an den Anrufer: Er muß irgendwann auf eine Taste drücken, dann spuckt die Kanone einen Fußball aus, den der Torhüter halten soll. Als zusätzliches Element zum Beispiel in „ran“ kann sich Schumacher, der vertraglich an das Sat.1- Sportmagazin gebunden ist, die „Goal Show“ durchaus vorstellen.

Überhaupt nichts mit Fußball hat die dritte Show im interaktiven Reigen, „Marster“, zu tun. Zudem ist sie in Sachen Ästhetik, Originalität und Handlungsvielfalt um Klassen besser als das gewohnte interaktive Einerlei. Entworfen von der englischen Firma Future Reality, die bislang vor allem Werbespots und Musikvideos (Pet Shop Boys, Mike Oldfield) produziert hat, setzt „Marster“ als erste interaktive Gameshow vor allem in graphischer Hinsicht Maßstäbe. Die Geschichte selbst knüpft an bekannte Videospiele an: Ein intergalaktischer Bösewicht plant eine Invasion auf dem Mars. Einzig Superheld Marster kann sich den Invasoren entgegenstellen. Die Anrufer müssen per Telefontastatur dafür sorgen, daß sich Marster stets seiner Umgebung anpaßt, die richtige Verteidigung aufbaut, die richtigen Waffen einsetzt etc.

Wie die anderen vergleichbaren Anbieter, so stellt auch Future Reality Hard- und Software zur Verfügung. Die jeweiligen TV- Veranstalter müssen also nur noch die dazugehörige Show samt Moderator organisieren, und er könnte zum Beispiel Hilbur heißen. Hilbur ist das Aushängeschild einer schwedischen Firma mit dem wenig verheißungsvollen Namen Trash Development. Hilbur verdankt seine Existenz der „Realtime Animation Technology“ (RTA). Mit RTA können die Bewegungen eines Menschen zeitgleich eine vor jedwedem Hintergrund plazierbare Figur auf dem Bildschirm animieren. Hilbur, ein etwas dümmlich dreinschauender Junge mit Disneyhänden und Propellermütze, ist natürlich nur Blickfang; in branchenüblicher Unbescheidenheit erbot sich Trash Development in Cannes, Marilyn Monroe als „Ihre neue Moderatorin“ zu vermitteln. Tilmann P. Gangloff

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