Showdown der Höflichkeiten

Der Höhepunkt des französischen Präsidentschaftswahlkampfes entpuppte sich als schnöde Fernsehdebatte. Jospin und Chirac lieferten sich einen matten Schlagabtausch  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Kein TV-Duell in Frankreich war je so aufwendig vorbereitet, keines mit soviel Spannung erwartet worden. Die Kandidaten Lionel Jospin und Jacques Chirac hatten sich mit Hilfe von Schauspielern vorbereitet. Das Fernsehen, das die zweieinviertel Stunden-Debatte am Dienstag abend life übertrug, sprach jede Farb-, Form- und auch jede Inhaltsfrage mit den Kandidaten ab.

„Wenn ich gewählt werde, werde ich die Institutionen reformieren“, versicherte Jospin. Er wolle Ämterhäufung abschaffen, die Amtszeit des Präsidenten auf fünf Jahre verkürzen und darüber ein Referendum abhalten und Neuwahlen für das Parlament durchführen, in dem die Konservativen die Mehrheit haben.

„Wenn ich gewählt werde“, so Chirac, werde ich die Institutionen der Republik wieder in ihr altes Gleichgewicht bringen.“ Er wolle die Zahl der Direktoren der öffentlichen Unternehmen reduzieren, die „monarchistischen Entartungen“ bekämpfen und die Amtsführung der Staatspräsidenz bescheidener gestalten, erklärte der Schüler von de Gaulle und Pompidou. Die Amtszeit verkürzen wolle er jedoch nicht.

Einen Tag nach dem Mord an einem Marokkaner durch Rechtsextreme ist das Thema Rassismus unvermeidlich. Jospin spricht von dem rassistischen Klima als einer „Wunde“ für die Demokratie. Chirac beschränkt sich auf eine Verurteilung und auf den Ruf nach der Polizei und Justiz.

Über eine Stunde später kommt das Thema Immigration zum einzigen Mal zur Debatte. Einer der beiden Moderatoren fragt: „Was kann man gegen die illegale Einwanderung tun?“ Beide Kandidaten bemühen sich klarzumachen, daß sie Frankreichs Grenzen – „und die von Schengen“, wie Jospin hinzufügt – selbstverständlich verteidigen werden. Dann folgt eine kurze Diskussion über die Pasqua-Gesetze, die Jospin reformieren will. Der Sozialdemokrat will zu dem alten republikanischen „Bodenrecht“ zurückkehren, wonach jeder in Frankreich Geborene auch die französische Staatsangehörigkeit hat.

Chirac hütet sich vor Rekursen auf das Erbe Mitterrands. Einmal zückt er eine Karteikarte, auf der er vermerkt hat, daß Jospin als Erziehungsminister „27 von 28 Universitätsrektoren entlassen“ hat – die einzige Erinnerung an Vetternwirtschaft. Umgekehrt hütet sich Jospin davor, Chiracs kapitalfreundliche Steuerreformen aus dessen Zeit als Premierminister oder das Massaker an kanakischen Unabhängigkeitskämpfern zu erwähnen. Die beiden Kandidaten bleiben freundlich und nennen sich „glücklich“, an der Debatte teilnehmen zu dürfen. Die kleinen Differenzen im Charakter zeigen sich am Anfang. Da unterbricht Jospin Chirac bei beinahe jedem Redebeitrag. Sagt „nein, das stimmt so nicht“ – oder: „das kann ich so nicht stehen lassen“. Läßt seine großen Augen hinter den dicken Brillengläsern hervortreten, und guckt so streng und oberlehrerhaft, wie ihn die Franzosen seit dem Beginn seiner Kampagne kennen. Das sei das „protestantische“ an ihm, sagen viele über Jospin, der diese Qualifizierung überhaupt nicht schätzt und mit dem Hinweis: „Wir haben ein laizistisches System, eine Republik“ kontert. Chirac bleibt ruhig, wie ein souveräner Vater. Er lächelt, zieht mal kokett die Augenbrauen hoch und setzt seine Hände zu ganz großen Gesten ein. Dabei guckt er sein Gegenüber an dem eigens für diese Gelegenheit konstruierten Holztisch stets an. Das Duell bleibt höflich und moderat. Der Sozialist wagt einmal den Satz: „Lieber fünf Jahre mit Jospin, als sieben Jahre mit Chirac.“ Sein Kontrahent kontert bei anderer Gelegenheit: „Sie glauben doch nicht im Ernst, daß sie bei Neuwahlen eine Mehrheit im Parlament bekommen.“ Jospin hat die Stimmung zu Anfang der Debatte beschrieben: „Wir haben keinen Antagonismus“, sagte er und Chirac stimmte ihm zu.

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