Der ewige Jazz-Hippi

■ Auf dem Jazztrip im KITO: Charles Lloyd samt Quartett

An seinem Ton erkennt man ihn sofort: So sanft und behutsam wie er bläst keiner das Tenorsaxophon. Charles Lloyd spielt nicht wie ein erobernder Virtouse, der mit jedem Solo sein Revier absteckt, sondern wie ein ewiger Entdecker: Vorsichtig, aber beherzt tastet er sich in die Weiten der Klangwelt vor. Dabei erreicht er Dimensionen, die seine Konzerte zu musikalischen Mindtrips werden lassen.

Um sich als ewigen Hippie vorzustellen, hätte der 55 Jahre alte Musiker sich seine kurze Rede am Ende des Konzertes mit Schlüsselwörter wie „sisters and brothers“, „universal“ und „love“ ruhig sparen können. Jedes Stück seines Konzertes war mit Jazz durchtränkte Spiritualität. Balladen, Stücke mit lateinamerikanischem Flair, asiatisch beeinflußte Kompositionen und Hommagen an Thelonius Monk, Booker Little sowie John Coltrane – all diese Musik präsentieren Lloyd und das „full circle orchestra of love“ (so seine selbstironische Vorstellung) mit soviel Emotionalität und Spielwitz, daß man sehr bald mit der Analyse der Techniken aufhörte und sich der sinnlichen Erfahrung überließ.

Es war eben nicht nur Hippiejargon, wenn Lloyd davon sprach, diese Musik mit dem Publikum „teilen“ zu dürfen. Ob bei den ekstatischen Soli oder in eleganten Bluesphrasierungen – immer spielte Lloyd mit einer atemberaubenden Intensität, und keiner kann die Band so über einem Ostinato schweben lassen wie er. Mal wechselte er vom Tenorsaxophon zur Querflöte. Eine exotische Komposition spielte er auf der quakigen tibetanischen Oboe, aber davon abgesehen war seine Band ein klassisches Jazzquartett: Bobo Stenson am Piano, Anders Stormin am Baß und Billy Hart am Schlagzeug. Lloyd ließ seinen Mitspielern viel Freiraum. Dabei spielten die drei zusammen etwas rauher und schneller – wenn Lloyd dazukam, wechselte sofort die Stimmung und alles klang viel wärmer. Durch diese Kontraste gewann der Auftritt viel an Spannung und Dynamik.

Wenn Lloyd sich dann seine Rasseln schnappte, mit ihnen recht abenteuerlich herumwedelte und dazu wie in Trance zu tanzen begann, schien er sich in ein ganz in den Augenblick versunkenes Kind zu verwandeln. Dieses Bild ließ die Weisheit, die aus seiner Musik herausklang, noch tiefer wirken.

Willy Taub