Vorschlag

■ Echt unecht: Kurzfilme von Hal Hartley im Eiszeit

Ein smarter junger Unidozent spricht in seinem Seminar über eine Passage aus den „Brüdern Karamasoff“. Es geht um Liebe und Glauben und solche Dinge. Die Sonne scheint in einen amerikanischen Seminarraum, der so blitzblank ist wie die Gesichter der fleißigen Studenten. Die warten auf Antworten, Fakten, verwertbares Wissen. Doch der Dozent will bestenfalls Fragen stellen. „I can't teach you anything“. Eine hübsche Studentin, die bezeichnenderweise „Sophie“ heißt, (wie die Heldin aus „Amateur“), nebenbei in einem Buchladen jobbt und dort schüchtern immer wieder fragt: „Can I help you?“, schaut den Dozenten verliebt aus ihren braunen Augen an. Auch er liebt sie. Trotz Liebesnacht wird alles danebengehen. Oder so halb.

Oder: Eine junge Frau steht draußen vor einer Bar und fragt routiniert, fast gelangweilt jeden Mann, der vorbeikommt: „Marry me?“ Oder: Ein Mann steht in einer Bar und spricht von seinen Wünschen: „I want to write songs, love songs, really timeless, beautiful love songs ... but I can't sing and don't know music“ Oder: Ein comicmäßig selbstbewußter junger Mann rennt durch eine Kulissenstraße und trotzt souverän all ihren Gefahren. Alle lieben ihn. Er sagt irgendwann: „I want the image I have of myself and myself to become one.“

Auch in den zwischen 1991 und 1992 gedrehten Kurzfilmen „Ambition“, „Theory of achievement“ und „Surviving desire“ entwirft der New Yorker Regisseur Hal Hartley („Simple Man“, „Amateur“) ein stimmiges Bild dessen, was man so „Generation X“ nennt. Seine Helden sind: „young, middle class, college educated, white, unskilled, broken drunk“. Zwischen Zwanzig und Anfang Dreißig stehen sie ein bißchen verloren in ihrem Leben. Skeptisch sind sie selbst gegenüber der Pose der Skepsis. Sie sind schön wie ein Werbeplakat, sie sind ein bißchen scheu und verletzlich, sie lesen Bücher oder stellen auch mal – wie der Dozent in „Surviving desire“ – das Lesen enttäuscht ein. Sie fiktionalisieren sich in schlechten Kurzgeschichten oder schreiben Gedichte. Die Kleider – gern Pullover – seiner Heldinnen riechen nach Perwoll. Sie leiden daran, daß ihr Leiden nie „echt“ wird (was einmal mehr darauf hindeutet, daß uns eine Kierkegaard-Renaissance unmittelbar bevorsteht).

Gern wären sie leidenschaftlich, doch denken sie zuviel nach, um leidenschaftlich zu sein. So werden ihre Leidenschaftsausbrüche künstlich und geschehen erst in dem Moment, in dem die Liebesgeschichte sowieso schon vorbei ist. Wenn sie, wie der Dozent in „Surviving desire“, plötzlich enttäuscht einen Cafétisch umkippen, merkt man ihnen an, daß sie schon im Moment ihres Wutausbruches wissen, daß sie diesen Wutausbruch nur spielen. Hal Hartley ist ein Meister des authentisch Unauthentischen. „Knowing is not enough“ schreibt der smarte Dozent auf die Tafel, bevor er seine Unikarriere aufgibt. Detlef Kuhlbrodt

Ab heute, 20 Uhr, Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20, Kreuzberg