Aktengemurmel

■ Das Schauspielhaus erinnerte an den Minsker Kriegsverbrecherprozeß

Gemurmel. Die Bühne freigeräumt und wie zu einer archäologischen Ausgrabung eingerichtet. Beinahe alle Schauspieler des Schauspielhauses – und einige Gäste vom Thalia Theater dazu – sind in dicke Aktenordner vertieft. Sie sitzen in Gruppen oder wandeln mit einem Ordner im Arm über die Bühne. Sie studieren die in den Ordnern enthaltenen Dokumente. Ausschnitte werden laut vorgelesen, Zeugenaussagen über Erschießungen, die die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion durchführte, Lebensläufe deutscher Soldaten, Vernehmungen deutscher Kriegsverbrecher. So murmeln die Akten, leise, aber vernehmlich.

Hannes Heer vom Hamburger Institut für Sozialforschung hat mit diesem Abend zusammen mit dem Theaterregisseur Jossi Wieler an den sogenannten Minsker Prozeß erinnert, den ersten Kriegsverbrecher-Prozeß gegen deutsche Wehrmachtsangehörige. Es war ganz bestimmt die ehrlichste, wahrhaftigste, rechtschaffenste der Gedenkveranstaltungen, die im Zuge des heutigen 50. Jahrestages des Kriegsendes auch in Hamburg an allen Ecken und Enden stattfanden und noch stattfinden. Anstatt so zu tun, als könne man das Grauen der Vergangenheit tatsächlich rekonstruieren, wird der Vorgang des Hineinwühlens in die aus der Vergangenheit auf die heutige Zeit überkommenen Dokumente dargestellt, wird der Abend schließlich selbst zu einem Vorgang des Hineinwühlens. Der Film Shoah mag hier Pate gestanden haben.

Jedoch ist Rechtschaffenheit auf dem Theater gelegentlich ein ganz schön hartes Brot. So stellenweise auch hier. Dann meint man, einem historischen Uni-Seminar (oder dem Hamburger Institut?) bei der Arbeit zuzusehen. Und die kurze Vorbereitungszeit für die szenische Umsetzung scheint auch hindurch.

Jedoch: Die Akten murmeln. Und jetzt hören sie wohl nicht mehr auf. Das bleibt das Verdienst von Hannes Heer. drk