„Study Duchamp!“

■ Alles im Flux: Wolfgang-Hainke-Installation mit „männlichen Formen“ in der Galerie Gruppe Grün

Was haben Wolfgang Hainke, John Cage und Vilém Flusser miteinander zu tun? Die einfache Antwort: Alles hat mit allem zu tun, ein bißchen wildes Denken, und schon haben die Zusammenhänge eine beinahe terroristische Qualität. Die schwere Antwort: Sie sind Teil einer gewissen Bewegung.

Hainke, sogenannter „Bremer Künstler aus Schierbrok“, stellt derzeit in der Galerie Gruppe Grün aus. Das heißt, er hat einige größere Umbauten vorgenommen und sorgfältig geordneten Müll verteilt. Eine Installation mithin. Wo früher Ecken waren, ist die Galerie plötzlich rundgemauert. Hunderte Ausschuß-CD bedecken den Fußboden, an anderer Stelle türmen sich Stöße von Holzbrettchen. Neonröhren werfen von einer Wand Licht auf die andere. Zettel mit einer dubiosen Befragung aus einem fernen Sinnzusammenhang hängen im Galeriefenster. Wer keinen Hainke zum Decodieren hat, ist aufgeschmissen. Wer einen Hainke hat, dem geht's auch nicht schlechter.

Hainke spricht eine Sprache, die zwar nur in Ausnahmefällen verstanden wird, in der man sich aber bestens unterhalten kann. Ein weltweite Szene von „Freunden“ bedient sich ihrer, Leute wie Jürgen O. Olbrich (Kassel), Ann Noel und Emmet Williams (GB) etwa, aber auch Richard Hamilton und Daniel Spoerri (der soeben zahlreiche fiese Medicin-Collagen bei Seinsoth zeigt). Unversehens fand sich neulich auch Bryan Ferry (Ex-Roxy Music) eingemeindet – Hainke hatte auf einer alten Scheibe den Hinweis auf das Große Glas von Marcel Duchamp gefunden, und da ist er schon, der große Decodierschlüssel: Duchamp.

Cage: „One way to study music: study Duchamp“ (1963). Cage wird zur Zeit in der Galerie Gruppe Grün ausführlich gefeiert. In der Galerie positioniert Hainke die Brettchenstöße gemäß einer Skizze von Duchamps Großem Glas („neun männliche Formen“). Cages Musik vollzieht sich in Events, Hainke legt Wert auf den Eventcharakter seiner Kunst, bloß nix für die Ewigkeit. Mit den Freunden gemeinsam hat Hainke die Recycling-Philosophie, die jedes Ding aufhebens- und installierenswert ansieht. Seine Schrott-CDs sah man in diversen anderen Zusammenhängen, aber sie werden nie alt und zerlegen das Licht immer zuverlässig in seine Bestandteile. Jetzt balancieren sie jeweils auf einer Glasmurmel, werfen Farben und ergeben ein Bodenbild, vor dem man stehen kann.

Mit den abgerundeten Ecken der Galerie kann man sich abfinden; oder man kann an Flusser denken. Der exzentrische Kommunikationsphilosoph (nach der Emigration aus Prag: Sao Paulo/Brasilien) betrieb eine Schule der Wahrnehmung. Er saß vor leeren Flaschen und schrieb über sie. Müllphilosophie. Wegschmeißen von Dingen beschrieb er als Verdrängen aus der Kultur in die Natur. Er saß vor einer Wand und schrieb über die Wände und ihre Krise.

Sowas muß man nicht wissen. Man kann sich einfach durch eine zur Drehtür umgebaute Zimmertür quetschen, sich umdrehen und lesen: When she walks in the room you make up your way through the door. Das ist von Bryan Ferrys Album „The Bride Stripped Bare“. Nichts kommt um, nichts ist neu. Man sollte die Musik einmal wieder anhören.

Burkhard Straßmann

Ausstellung: Galerie Gruppe Grün, Fedelhören 32, Di., Mi. u. Fr. 14-17, Do. 17-20 Uhr, bis 12. Mai