Werkzeuge im Vernichtungsapparat

■ Tagung über Frauen im Nationalsozialismus beleuchtete Teilnahme und Täterschaft von Frauen / Frauensenatorin Bergmann (SPD) erklärt Konflikt um ausgeladene Moderatorin zur Informationspanne

Frau T., eine Pfarrgehilfin, die in der Fürsorge tätig war, wurde zu einem Gespräch ins Polizeikommissariat bestellt. Sie sollte Namen von unverbesserlichen Fürsorgezöglingen nennen. Wozu, wußte sie nicht. Doch ohne Zögern las sie einige Namen von einem vorbereiteten Zettel ab. Erst nach dem Gespräch erfuhr sie, daß die SS die auf diese Weise ermittelten Jugendlichen in das Jugend-KZ nach Ravensbrück deportieren wollte. Sie versuchte noch, etwas dagegen zu unternehmen, indem sie die Kirchenleitung informierte. Schaden wollte sie niemand. Dennoch wurde sie aus politischer Naivität zum willigen Werkzeug im SS-Verfolgungsapparat. Sie kooperierte aus Pflichtbewußtsein. T. schien sogar stolz darauf zu sein, als einzige aus einer Runde von mehreren Fürsorgehelferinnen Namen liefern zu können und somit „kompetent“ zu sein.

Die Geschichte der T. war ein Beispiel, mit dem die Referentin Dagmar Reese veranschaulichte, wie Frauen das Nazi-Regime unterstützten, sich damit arrangierten oder davon profitierten. Die Referate über die alltägliche Verstrickung von Frauen, über ihre Mittäterschaft und Täterschaft während des Nationalsozialismus gehörten zu den interessantesten Aspekten der von Frauensenatorin Christine Bergmann (SPD) ausgerichteten Tagung „Die unvollendete Vergangenheit“. Denn selbst die feministische Frauenforschung ist sich dieses blinden Flecks erst in jüngster Zeit bewußt geworden und hat spät mit dessen Erforschung begonnen.

Die Abspaltung des Bösen erweist sich als Selbsttäuschung. KZ- Aufseherinnen standen ihren männlichen Kollegen, was Brutalität anging, in nichts nach. Wie die Wissenschaftlerin Gudrun Schwarz ausführte, waren sie in den Vernichtungslagern auch an Selektionen von KZ-Häftlingen beteiligt – nicht an den Rampen, an denen die Transporte ankamen, sondern auf den Krankenrevieren, bei Generalappellen oder der Rückkehr von Arbeitskommandos. Auch dies ist ein von der gesamten Forschung bislang vernachlässigter Aspekt.

In den Konzentrationslagern arbeiteten nur Frauen, die sich freiwillig dafür entschieden hatten. Zehn Prozent des KZ-Personals war weiblich: insgesamt 3.517 Frauen. Was bewog sie, diese Arbeit anzunehmen? Das Gehalt war gering, doch sie genossen eine Reihe von Privilegien wie freie Unterkunft und Verpflegung. Sie erhielten einen Wintermantel und Schuhe – zu Kriegszeiten knappe und begehrte Güter. Während der kurzen Ausbildung wurde, wie Gudrun Schwarz schilderte, Rücksichtslosigkeit und Gewaltbereitschaft trainiert. Befördert wurden vor allem die gewalttätigen Aufseherinnen. Dennoch war die Ankunft im Lager für viele Bewerberinnen ein Schock. „Die Hälfte der Aufseherinnen bricht zusammen, wenn sie im Lager ankommen“, zitierte Schwarz die einstige KZ-Insassin Buber-Neumann. Es wären oft einfache Frauen um die 20 Jahre gewesen. Keine „mußte“ bleiben, betonte Schwarz. Aber viele hätten aus Autoritätsgläubigkeit nicht vermocht, die Arbeit zu verweigern. So auch Frau K., eine ungelernte Fabrikarbeiterin, die bei ihrer Ankunft im Lager sofort wieder weg wollte. Als ihr vorgehalten wurde, daß sie sich mit ihrer Unterschrift verpflichtet hätte, nahm sie dies als unumstößlich hin.

Eklat um ausgeladene Moderatorin

Die für die Gegenwart aktuelle Frage, was heute jede einzelne Frau mitträgt und wann sie sich staatlichen Vorgaben widersetzt oder gesellschaftlichen Entwicklungen entgegenstellt, sollte Thema einer Podiumsdiskussion bei der Veranstaltung sein, um die es im Vorfeld einen Konflikt gegeben hatte. Ein Konflikt, der Thema zahlreicher Pausengespräche war, zu dem aber keine der erschienenen Referentinnen öffentlich Stellung bezog: Als Moderatorin für die Podiumsdiskussion war ursprünglich die Feministin Halina Bendkowski angefragt worden. Sechs Wochen später erfuhr sie, daß sie ohne ersichtlichen Grund ausgeladen worden war. Ihre Vermutung: Die Ausladung erfolgte, weil sie als Organisatorin eines von Bergmann finanzierten Kongresses auf Jutta Gysi als Referentin bestanden hatte. Wegen des Konflikts hatten Inge Deutschkron und Cora Stephan ihre Teilnahme an der Diskussion abgesagt, Gabriele Mittag zog ihr Referat über „Die Manie der Ausgrenzung – Verfolgung von Frauen im Nationalsozialismus“ ebenfalls zurück.

Frauensenatorin Bergmann stellte die Angelegenheit zu Beginn der Podiumsdiskussion als reine Informationspanne dar. Halina Bendkowski sei im Gespräch gewesen, dann habe man sich dafür entschieden, einer „anerkannten Frau aus Kirchenkreisen“ die Moderation zu übertragen, um ein breites Publikum anzusprechen. Es komme doch öfter vor, daß man angefragt werde und erst später eine endgültige Zusage bekomme.

War alles nur ein Mißverständnis? Gabriele Mittag hielt Bergmann vor, daß sie im Vorfeld der Tagung keine klärende Stellungnahme abgegeben habe. Als Halina Bendkowski ans Mikrophon trat, um Bergmanns Version entschieden zu widersprechen, kam es zum Eklat. Sie warf der Senatorin „schlechtes Benehmen“ vor. Die Podiumsdiskussion mit Freya Klier, Ingrid Strobl, Gesine Schwan und Susanne zur Nieden, die „Blicke auf eine gegenwärtige Vergangenheit“ werfen sollten, mißglückte leider. Selbst die Moderatorin Susanne Kahl-Passoth gestand am Ende ein: „Wir sind mit unserem Gespräch gescheitert.“ Dorothee Winden