: Nur Professionalismus zählt
Während der Amateur-Box-Verband bei der Berliner WM den Profi-Boom sucht, muß selbst eine bescheidene Zukunft erst gefunden werden ■ Von Peter Unfried
Berlin (taz) – Drinnen im Gym läßt der Bundestrainer Uli Wegner seine Boxer in einer Reihe antreten, stramm stehen und ordnet dann Tatzenarbeit und Spurts an, „damit wir psychisch und physisch frisch werden“. Draußen in der Sonne sitzt der Chefbundestrainer Helmut Ranze, pafft und sieht ein bisserl müde aus. Seit Tagen fragt man ihn dasselbe, stets kann er, der zum Dozieren neigt, nur seine Sätze wiederholen. Vier Medaillen, mal auch sechs, seien das Ziel, die Leistungserwartungen „innen und außen“ hoch. Worüber er aber gar nicht reden mag, sind „mögliche Eventualitäten“, die es „nicht ins Kalkül“ zu ziehen gelte.
Zu gewinnen ist nämlich mehr als Gold. Zu verlieren mehr als ein Kampf. In gewisser Weise ist die seit Samstag laufende Amateur- Box-WM in Berlins Deutschlandhalle ein Schaufenster, in dem der Deutsche Amateur-Box-Verband (DABV) seine zweifellos vorhandenen, aber weitgehend unbekannten Weltklasse-Athleten der Öffentlichkeit zur gefälligen Besichtigung präsentiert, um sie hinterher im für ihn ungünstigsten Fall loszusein. Womöglich noch vor den Olympischen Spielen, die für die ökonomische Zukunft der Sportart eine wichtige Rolle spielen.
„Darüber zu reden“, sagt Ranze mißmutig, „sollte man aufhören.“ Nun hat aber grade erst alles angefangen, der Fernsehsender Sat.1 einigen Boxern Hoffnungen gemacht, dem unvermeidlichen Arbeitgeber Bundeswehr, der siechen, weitgehend medienfreien Bundesliga und dem angemufften Verband entfliehen zu können. Leibeigene Profiboxer will der Sender sich halten, keinen „Wanderzirkus“, wie der Pressesprecher/Sport, Michael Novak, sagt, eine zwei bis vier Mann starke Truppe, die, dem Beispiel von RTL folgend, Quote machen soll. Es handle sich „um ein langfristiges Projekt“, sagt Novak. Dessen Start, vermutet man allenthalben, tatsächlich erst 1996 erfolgen soll, und „nicht davon abhängig ist, ob sich in Berlin einer die Goldmedaille um den Hals hängen kann“. Doch demjenigen, der sie umhängen hat, das ist klar, wird es beim Absprung entscheidend helfen.
„Unterm Strich“, sagt Novak, „werden die Boxer nach Olympia wollen.“ Aber sehr viel mehr als diese ewige Sehnsucht hat der DABV auch nicht in der Hinterhand. Immerhin: Bereitet der Verband den Absprung von den Öffentlich-Rechtlichen zum Spartensender DSF vor. Erstere haben im vergangenen Jahr insgesamt eine Stunde Boxen gesendet, zweiteres wird 25 Stunden live von der WM berichten. Die Rechte hat der DABV für 500.000 Dollar vom Weltverband AIBA erworben und, „froh, eine Sorge los zu sein“ (Präsident Maurath), für 1,5 Millionen Mark an den Schweizer Sportrechtemakler Lüthi abgetreten. Dessen CWL hat nach vielen Mühen einen bierbrauenden WM- Hauptsponsor und letztlich auch den home broadcaster DSF aufgetan, das 1996 womöglich die Rechte ganz übernehmen wird. Was beim DABV sanfte Hoffnungen entstehen läßt, an jenem gern konzidierten „Boxboom“ im Lande teilhaben zu dürfen, der die Amateure bisher noch meilenweit verfehlt hat. Nun laufen Verhandlungen, und, sagt Jörg Krause von der Abteilung Kommunikation des DSF: „Je attraktiver das Angebot, desto wahrscheinlicher ist, daß wir investieren.“ Ergo müssen, sagt DABV-Präsident Maurath, „Wege gesucht werden, daß die Besten dableiben“. Eine prima Idee wurde geboren: Der DABV erfindet den Lizenzboxer, wird somit selbst zum Boxstall, der seine Besten „professionell vermarkten“ (Maurath) kann und gleichzeitig die Förderungskriterien des Bundes erfüllt.
Nun wird in den Stützpunkten nicht schlecht gearbeitet, auch das eine oder andere Talent steht bereit, doch strömen die kommenden Klasseboxer keinesfalls, von Maske und Schulz inspiriert, aus den Kindergärten in die Hallen. Wenn der Sport lebt, dann im Osten, wenn er eine Zukunft hat, dann jenseits der Bundesliga. Funktionieren könnte eine zukunftsweisende Zusammenarbeit TV – DABV aber nur, wenn die Sportart den muffigen Ostgeruch etwa des sportlich beachtlichen Chemiepokals in Halle los wird. „Die müssen“, wünscht man beim DSF, „mehr bringen als guten Sport.“ Und schauen, daß nach der WM nicht die paar weggehen, die man dann vielleicht sogar namentlich kennt. Präsident Maurath kann da allerdings „keine Garantie übernehmen“.
Doch wie stabil ist die Konjunktur eigentlich? Wenn man mit Boxen Geld verdienen will, dann vielleicht besser heute als morgen. Heißt nicht, daß bei Sat.1 „etwas übers Knie gebrochen würde“ (Novak), aber Michael Lion, der stellvertretende Programmchef/ Sport, ist in Berlin, um nach dem Rechten zu sehen. Nicht daß ein vage möglicher Weltmeister plötzlich und überraschend ganz woanders landet.
Aktionen sind gefragt, das wird in diesen Tagen der Cheftrainer Ranze nicht müde, den Seinen zu erzählen: deutliche Aktionen. Der DABV allerdings, der gerne alles auf sich zukommen läßt, wird in bewährter Nehmermanier auch dieses Mal abwarten, ob er getroffen wird. „Die harte Phase“, hofft der Präsident Maurath (71), „wird erst nach Olympia kommen.“ Bis dahin hat man sich möglicherweise auch längst in einen deutschen Allgemeinen-Box-Verband umbenannt. Wo einzig Professionalismus zählt, könnte das Wort „Amateur“ zu Irritationen führen. Sehr wahr: Während jenes einst die wahren Liebhaber auswies, bezeichnet es heute umgangssprachlich Dilettanten.
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