Königsbruck braucht Kombimöbel

■ "Das Deutschlandlied" von Tom Toelle und Peter Märthesheimer (heute, Mi., So., 20.15 Uhr, ZDF)

Mein Vater war am 8. Mai 1945 dreizehn Jahre alt und ostvertrieben. Mit seinen Eltern wurde er in Gütersloh „zwangseinquartiert“. Der Vater meiner Mutter kehrte erst später heim. Er hatte den Krieg als Berufsposaunist auf See verbracht – als Leiter einer Militärkapelle. Wenn auch dieser Krieg verloren gehen würde, hatte er gemeint, würde er nicht mehr nach Hause zurückkehren. Er kam dann aber doch irgendwann und hockte lange nutzlos am Küchentisch herum. Für Bläser hatte das Deutschland der Stunde Null keine Verwendung.

Viel wurde bei uns zu Hause nicht erzählt über die letzten Tage des Krieges und den Neuanfang, der Befreiung und Niederlage zugleich war. Gehungert hätte man und wäre froh gewesen, daß der Spuk endlich vorbei war. Immerhin gab mein Vater zu, daß ihm das eigene Haus das wichtigste überhaupt war, und meine Mutter erzählte, wie sie von einem „Ami“ Schokolade geschenkt bekam und nicht wußte, wie das schmeckt.

Tom Toelles Dreiteiler „Das Deutschlandlied“ erhellt einiges über diese Zeit des Umbruchs, als die Männer zurückkamen und sich in eine neue Zeit einpassen mußten, in der die Feinde nun Sieger und die Frauen Haushaltsvorstände waren. Mit viel sorgsam historisch eingeschminktem Personal erzählt Peter Märthesheimer die Geschichte der Stunde Null im Kleinstädtchen Königsbruck. Da gibt es den Sozialisten Schuhbeck (Matthias Habich), den die Amerikaner zum Bürgermeister ernennen, und Lisa, die mit Sorge die Heimkehr ihres Mannes erwartet. Sie ist nämlich schwanger – allerdings von ihrem wehruntauglichen Schwager. Auch die Schneiderin Anna (Ulli Philipp) hat Probleme. Mit Schwarzmarktgeschäften versucht sie eher schlecht als recht, sich und ihre Tochter Betty durchzubringen. Als sich die Halbwüchsige ausgerechnet in einen schwarzen GI verliebt, überschlagen sich die Ereignisse. Aus der erzählten Geschichte wird ein Westerndrama, in das fast alle irgendwie verwickelt sind: der ehemalige Kreisleiter Sternke, sein Sohn und Schwarzmarkthändler Paul und auch Baron von Hellnstein, der dank seines Besitzes wieder nicht auf die Nase, sondern auf die Füße fällt. Nur die „Einquartierten“ bleiben ungeliebte Zaungäste.

Minutiös inszeniert Tom Toelle („Via Mala“) seine Geschichte, die so recht keine lehrreiche Botschaft haben will, außer dem Bemühen, Geschichte aus der Perspektive der kleinen Leute zu erzählen. Zehn Millionen Mark ließ sich das ZDF den Dreiteiler kosten – viel Geld, das trotzdem Jahre zu spät ausgegeben wurde. Denn die Figuren des „Deutschlandliedes“ hätten meine Großeltern vielleicht vor zehn, fünfzehn Jahren bewegen können, mir meine Fragen nach dem „Wie war das eigentlich?“ etwas wortreicher zu beantworten. Jetzt sind sie längst tot, und die Omas und Opas von heute schütteln nur bedauernd den Kopf: sie hätten das alles doch nur als Kinder erlebt ...

Und so bleiben allein die sattsam bekannten Dialoge: „Der Vorrat an Begeisterung scheint aufgebraucht“, meint Bürgermeister Schuhbeck angesichts der allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber der nun aufzubauenden Demokratie. „Dürfen die das denn?“, fragt Frau Sternke, als die Besatzer ihr Haus okkupieren. „Früher durften wir, heute dürfen die“, erwidert die Mutter lakonisch, und daß ihnen das Haus ja schließlich auch nicht immer gehört habe.

Deutschland in der Stunde Null brauchte platzsparende Kombimöbel, so das Lernergebnis des Dreiteilers, eine Stunde Englischunterreicht kostete zwei Eier oder fünf Briketts, und damit das wertvolle Rad vor dem Geschäft, in dem es Erbsen auf Karte gab, nicht geklaut wird, montierte man einfach den Lenker ab. Das allerdings hatten mir meine Eltern nicht erzählt. Klaudia Brunst