Symbole in Trümmern

■ Die Projektwochen „Ostkunst westwärts“ versammeln hochkarätige künsterische Positionen rund ums Gröpelinger „Lichthaus“

„Ostkunst westwärts“ – allein der Titel mobilisiert satte Klischees: Horden hungriger Kunstschaffender, aus den Tiefen Rußlands mit melancholischer Miene und glühendem Pinsel gen Westen ziehend, ins gelobte Land. Doch die „Ostkunst“ ist passé – und damit auch das Klischee einer traurig-süßlicher Russenmalerei. Längst empfinden sich die meisten Künstlerinnen und Künstler als Teil einer internationalen Szene. So ist auch der Ausstellungstitel, den das „Lichthaus“ in Bremen für sein aktuelles Spektakel wählte, eher ein Spiel mit den nostalgischen Erwartungen des Publikums; ein Spiel, das „gezielt in die Irre führt“, wie Mitorganisator Wolfgang Schlott sagt. Denn was die vier Künstler aus Osteuropa seit gestern zeigen, ist ein vitales Nebeneinander von experimenteller und traditioneller Kunst, von Malerei und Performance, Musik und Literatur: eine Kunst mit vielen Gesichtern, unberechenbar und aufregend.

Es funkt, dampft und zischt in der Halle: German Vinogradovs fackelt seine Performance ab, zur Probe für den Abendauftritt. Halbnackt steht der Meister in einem Trümmerfeld aus Geröllbrocken, ordentlich sortiert. Brüllend zieht er an seiner selbstgebastelten E-Gitarre. Das Fernsehen filmt das geschehen fieberhaft ab, dieweil die Künstlerkollegen gelassen ihren Wand- und Bodenmalereien nachgehen. Wenn es etwas gibt, das die vier Künstler verbindet, dann ist es diese Atmosphäre des permanenten Umbruchs und Umbaus – in der man sich trotz alledem ganz ruhig und ohne Aufregung dem Wesentlichen widmen kann.

Vinogradov hat dabei den Umbau zur permanenten Methode gemacht. Der junge, in Moskau lebende Künstler baut für seine Performance-Spektakel stets neue Räume auf. Das hohe Atrium des „Lichthauses“ hat er in eine surreal anmutende Landschaft verwandelt: Abgewetzte Steine, versehen mit den Jahreszahlen seit 1945; rostige Rohre; Gestrüpp und Geröll; eine alte Badewanne, von der Decke baumelnd. Wie viele Künstler seiner Generation bearbeitet Vinogradov nicht abermals die alten Symbole. Er lädt seine Fundsachen nicht mit genau dechiffrierbaren Bedeutungen auf – alles verbindet er mit seiner Biografie. Aber wenn er schließlich brüllend, nur mit seinen Schrottinstrumenten bekleidet, mit den Elementen spielt, mit Feuer, Wasser, Erde, Luft – dann bekommt seine Performance einen existenziellen Charakter, der alle Grenzen überwindet.

Vinogradov begreift den Raum als Tummelplatz abgründiger Phantasien – wie eine Gegenthese stehen dem die Arbeiten der anderen Künstler gegenüber. Den strengsten formellen Regeln unterwirft sich dabei der Pole Lech Twardowski. In seiner Malerei benutzt er Farbe in Reinkultur: Leuchtend rote Farbpigmente überziehen seine Leinwände und Holztafeln, lassen Form, Farbe und Inhalt miteinander verschmelzen. So weit entfernt diese Kunst von der Vinogradovs entfernt scheint – Twardowskis Feld aus glühender Farbe und Vinogradovs brennendes Trümmerfeld erscheinen hier fast wie zwei Aspekte derselben Haltung.

Große, ruhige Flächen bearbeiten auch Dmitri Prigov und Grigori Berstein, beide aus der GUS. Die bröseligen, noch nicht sanierten Mauern der „Lichthauses“ haben beide als ideale Projektsflächen für ihre Vorstellungen entdeckt. Berstein markiert dabei wohl den am weitesten von der postmodernen Performance Vinogradovs entfernten Punkt: Sein Grau-in-Grau gemaltes Wandgemälde zitiert eine Kirchenarchitektur der Renaissance. Deren Idealformen aber wiederholt und variiert Berstein, und zwar auf einem durch und durch modernem Material: Plexiglas. So scheint die alte Idealvision durch die neuen Tafeln hindurch. Im Zentrum aber steht – eine leere Glasplatte, auf eine schlichte Staffelei gestellt: „Das ist das Wichtigste“, sagt Berstein, „das ist die Zukunft“ – durch die die Vergangenheit stets als Folie sichtbar bleibt.

So ist die Durchdringung und Verwandlung von Form und Inhalt – Umbruch eben – auf allen Ebenen dieser vielschichtigen Schau erkennbar. Die Veranstalterinnen und Veranstalter vom „Lichthaus“ hätten es nicht besser treffen können bei einem Projekt, das am 8. Mai beginnt. Daß dieses überhaupt zustandekam, gehört zu den kleineren Wunder der Schau: Knapp 15.000 Mark standen für das gesamte Programm zur Verfügung, mehrheitlich von privaten Geldgebern beigeholt. Thomas Wolff

Ausstellung bis 21.5. im „Lichthaus“ der AG Weser; Lesung mit László Földenji am 12.5., 20 Uhr; Russischer Abend mit Texten von Vladimir Sorokin und Live-Musik am 21.5., 20 Uhr