Menschenleeres Gedenken am 8.Mai

■ Sterile Feier in der Bürgerschaft / Viele richtige Gedanken, aber keine Menschengeschichte

Es sollte einer der Höhepunkte werden – und wurde doch nur eine Kopie so mancher Totensonntagsveranstaltung. Gestern morgen kam die Bürgerschaft zum Gedenken an den 50. Jahrestag des Kriegsendes zusammen. Gegeben wurden Reden des Bürgerschaftspräsident Dieter Klink, des CDU-Bundestagsabgeordneten Friedbert Pflüger und des ersten Botschafters Israels in Bonn, Asher Ben-Nathan, eingerahmt von Kammermusik von Schostakowitsch, aufgehellt durch Rezitationen von Will Quadflieg. Ein Programm für eine würdige Feierstunde, für Gedenken und Lehren aus der Geschichte. Zu beidem wurde geredet, zu beidem wurden richtige und wichtige Gedanken ausgeführt, und doch blieben die Reden seltsam menschenleer, und die Veranstaltung blieb weit unter dem Niveau des Programms, das in den vergangenen Wochen in Bremen zum Thema stattgefunden hat. Das Verhalten der Abgeordneten und der Gäste war entsprechend. Regungslos ließen sie Musik und Reden und Rezitationen verhallen, als ob vor der Veranstaltung ein striktes Klatschverbot ausgesprochen worden wäre.

Menschenleere herrschte vor allem in den deutschen Reden, die sich in großer Entfernung zu den Menschenschicksalen bewegten, die gerade in diesen Tagen die Öffentlichkeit einnehmen, und weit entfernt von Bremen. Kein Wort fiel zu den Lagern um Bremen, zu den Ermordungen der Bremer JüdInnen, zu den ZwangsarbeiterInnen am U-Boot-Bunker Valentin. Der 8. Mai in Bremen blieb namenlos. Das Parlament bekam nicht einmal die Namen der Bürgerschaftsmitglieder zu hören, die von den Nazis aus ihren Ämtern vertrieben worden waren, von denen, die unter die Mörder gefallen waren, von denen, die widerstanden, schon gar nicht von denen, die mitgemacht haben. Stattdessen gab es reichlich Bekenntnisse zur Westintegration Deutschlands, zur guten Nachbarschaft und zur europäischen Einigung. Viele richtige Schlußfolgerungen, nur Schlußfolgerungen von was, das blieb im Ungefähren. Möglicherweise lag es an der Reaktionsunfähigkeit im Parlament, daß selbst Pflügers Horrorgemälde „wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“ die Herzen in der Bürgerschaft nicht zu bewegen schien. Möglicherweise lag es aber an der deutschen Klemme zwischen Befreiungs- und Zusammenbruchsgefühlen, aus der auch Pflüger keinen Ausweg wissen wollte. Daß Hitlers Weltherrschaftsphantasien etwas mit der Unterstützung der Deutschen zu tun hatten, blieb eine Erkenntnis am Rande.

Friedbert Pflüger bestand auf dem „eindeutigen historischen Schluß“, das sei ein Tag der Befreiung. Doch es sei „nachvollziehbar“, daß die Deutschen nicht feiern wollten. Diese „subjektiven Gefühle“ seien „zu respektieren“. Da wollte Pflüger den Deutschen den Spiegel, daß die Mehrheit des Volkes bis zum bitteren Ende für den großen Führer gekämpft, lieber nicht allzu lange vorhalten. Ein großer Konsens schien über dem Plenarsaal der Bürgerschaft zu hängen. Einerseits schlugen sich die beiden deutschen Redner eindeutig auf die Seite derjenigen, die den 8. Mai als Tag der Befreiung definieren, andererseits schlugen sie aber einen großen Bogen um alle Konflikte.

Allen Wohl und niemand Wehe: „Wir gedenken“, hub Dieter Klink am Ende seiner Rede an, und dann folgte eine Liste aller Toten. Der des Krieges, der der Diktatur, der Täter wie der Opfer. Im Gedenken waren alle Katzen grau. Aus dem Einerseits-Andererseits gab es kein Entrinnen: Trotz aller Bekenntnisse zur Befreiung, der Freude über das Ende von Krieg und Massenmord und Diktatur stand immer wieder der Terminus Niederlage im Weg. Und dieser Gegensatz verwischte die Konturen dieses Tages. Irgendwie waren dann am Ende doch wieder die Opfer auf allen Seiten zu beklagen.

„Versöhnen können sich Menschen, nicht Völker“, sagte Asher Ben-Natan. Denkmäler könnten versteinern, nur die lebendige Erinnerung könne den Generationen nützen. Auch das hörten die Gedenkgäste versteinert. J.G.