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Lernen, mit der Bombe zu leben

Nützt es etwas, wenn Geheimdienstler mehr dürfen? Die Suche nach Bombenopfern in Oklahoma City ist beendet, die Suche nach Tätern und Auswegen hat gerade erst begonnen  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Die Fernsehkameras sind fort, die meisten Reporter sind abgereist. Nun scharen sich Touristen mit Fotoapparaten um die Ruinen des „Alfred P. Murrah“-Gebäudes in Oklahoma City. 16 Tage lang hatten Rettungsmannschaften nach Toten und Verletzten des Bombenanschlages vom 19. April gesucht – seit der Nacht nach dem Attentat fanden sie keine Überlebenden mehr. 164 Tote, zumeist Bundesangestellte, wurden aus den Trümmern gezogen. Am Freitag stellten die Bergungsmannschaften ihre Arbeit endgültig ein. Zwei Frauen gelten weiterhin als vermißt – sie wurden von der Bombenexplosion vermutlich mit solcher Wucht getroffen, daß keine Überreste zu finden sind.

Die Ermittlungen des FBI konzentrieren sich nach wie vor auf das Umfeld des 27jährigen Timothy McVeigh, jenes Golfkriegsveteranen, der durch einen Zufall in die Hände der Polizei geraten war, als ein Streifenpolizist ihn nur 90 Minuten nach dem Anschlag auf einer Autobahn in Oklahoma wegen Fahrens ohne Kennzeichen gestoppt hatte. McVeigh, der sich selbst zum „Kriegsgefangenen“ erklärt hat, verweigert jede Aussage über mögliche Komplizen und Hintermänner. Ein zweiter Tatverdächtiger, der zusammen mit McVeigh in einer Kleinstadt im Bundesstaat Kansas den Autotransporter angemietet und mit der explosiven Bombenmischung beladen haben soll, ist weiterhin auf freiem Fuß. Nicht einmal seine Identität konnte festgestellt werden. Inzwischen hält man es in FBI-Kreisen für möglich, daß diese Person gar nicht existiert und daß man in Gestalt der Brüder James und Terry Nichols weitere Tatverdächtige bereits in Haft hat. Sie sind bislang – ohne Zusammenhang mit dem Anschlag in Oklahoma City – wegen illegaler Herstellung von Sprengstoff angeklagt. Beide hatten aber Kontakte zur „Michigan Militia“, einer jener paramilitärischen Gruppen, die sich in den letzten Jahren aus fanatischem Haß gegen den Staat gegründet haben. Terry Nichols und Timothy McVeigh hatten in der Armee enge Freundschaft geschlossen. Auf der Farm von Terrys Bruder James in Michigan sollen die beiden das Bombenbasteln geübt haben.

Polizei fordert mehr Polizei

Während FBI-Beamte versuchen, die Wege des Timothy McVeigh in den letzten beiden Jahren minutiös nachzuzeichnen, ist in Washington unter maßgeblicher Beteiligung von FBI-Direktor Louis Freeh eine Debatte um Anti-Terrorismus-Maßnahmen entbrannt. Bei einer Kongreßanhörung Ende letzter Woche sagte Freeh, daß das FBI Richtlinien, die der Bundespolizei bislang bei Ermittlungen gegen tatsächliche oder vermeintliche Terrororganisationen Einschränkungen auferlegten, „neu interpretieren“ will. Demnach will die Bundespolizei in Zukunft auch gegen Gruppen vorgehen, die weder eine Straftat begangen noch geplant haben, aber Gewalt befürworten. Das ist ohne parlamentarische Abstimmung möglich.

Bürgerrechtsorganisationen wie die „American Civil Liberties Union“ (ACLU) reagierten mit scharfer Kritik auf Freehs Äußerung. „Wann immer man vom Grundsatz der strafrechtlichen Legitimation für polizeiliche Ermittlungen abweicht, muß man nach einer anderen Begründung suchen“, erklärte ACLU-Direktor Ira Glasser. „Was kommt in Frage? Nationale Herkunft, vielleicht die Hautfarbe, vielleicht die politische Gesinnung, vielleicht militante Rhetorik? Genau das ist die beklagenswerte Geschichte des FBI.“ Die Bundespolizei hatte vor allem in den 60er und 70er Jahren unter ihrem damaligen Chef Edgar Hoover linke Organisationen von den „Black Panthers“ über Vietnamkriegsgegner bis hin zu kirchlichen Asylgruppen unterwandert und ausspioniert. Da dies die verfassungsmäßigen Rechte der Betroffenen verletzte, entstanden danach ebenjene Richtlinien, die Freeh nun „neu interpretieren“ möchte.

Gleichzeitig sind auch die neuen Gesetzesvorschläge der Clinton- Administration zur Terrorismusbekämpfung von Verfassungsrechtlern und Bürgerrechtsgruppen kritisiert worden. Clintons „Omnibus Counterterrorism Act“, der in manchen Teilen durchaus Ähnlichkeit mit Paragraph 129a des bundesdeutschen Strafgesetzbuches hat, war vom Weißen Haus zuerst nach dem islamistischen Anschlag auf das New Yorker World Trade Center vorgelegt worden. Das Gesetzespaket sieht unter anderem die Ausweisung von Ausländern vor, die der Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen beschuldigt werden, ohne daß die Betroffenen erfahren, wer sie dessen beschuldigt hat.

Bürgerrechtler fordern mehr Bürgerrechte

Zudem würde sich in Zukunft auch strafbar machen, wer für eine Gruppe, die vom Präsidenten als „terroristisch“ eingestuft wird, Geld sammelt, auch wenn es für friedliche Zwecke gedacht ist. Inzwischen ist man sich da auch im Weißen Haus nicht mehr ganz sicher. Vor einigen Jahren galt zum Beispiel Südafrikas ANC für die USA als „terroristische Vereinigung“. Jeder Apartheidsgegner, der Mandelas Organisation mit einer Zehn-Dollar-Spende half, hätte sich nach dem nun vorliegenden Gesetz strafbar gemacht. Gleiches gilt für Sympathisanten von „Sinn Féin“, dem politischen Flügel der IRA. Zu ihren Geldgebern dürften auch viele Freunde der Demokraten zählen, die 1992 kräftig in Clintons Wahlkampfkasse einzahlten. Entsprechend lautstark protestieren nun irisch-amerikanische Organisationen.

Clinton hat zudem einen „Fünfjahresplan“ zur Terrorismusbekämpfung vorgelegt, der unter anderem die Einbeziehung des Militärs in strafrechtliche Ermittlungen sowie Abhöraktionen erleichtern soll. Daß solche Maßnahmen weitere terroristische Anschläge verhindern, bezweifeln Bürgerrechtsorganisationen. Nach Angaben der New York Times beweisen zudem neue Statistiken des „Administrative Office of the United States Courts“, daß das FBI auch im bislang bestehenden gesetzlichen Rahmen kaum Abhöraktionen gegen inländische Terrororganisationen eingeleitet hat – obwohl sich die Zahl der Bombenanschläge in den letzten 12 Jahren vervielfacht hat. Allein 1993 wurden bei Bombenanschlägen in den USA 49 Menschen getötet und über 1.000 Personen verletzt.

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