: Britische Atomkraftwerke zu verkaufen
■ Der Erlös soll den Tories bei der Wahl helfen / Die Milliarden für die Stillegung werden den Steuerzahlern aufgebürdet / Industrie träumt von neuen AKWs
Der britische Industrieminister Michael Heseltine wird heute vor dem Londoner Unterhaus seine Pläne für die Privatisierung der Atomindustrie erläutern. Sieben gasgekühlte Reaktoren sowie der Druckwasserreaktor Sizewell B sollen schon im ersten Halbjahr 1996 verhökert werden, weil die Tories dringend Geld für den Stimmenkauf benötigen: Mit dem zu erwartenden Erlös von sieben bis acht Milliarden Mark wollen sie rechtzeitig zu den nächsten Parlamentswahlen die Steuern senken.
Doch aus dem schnellen Geld wird möglicherweise gar nichts. Die Inspektionsbehörden brauchen mindestens ein Jahr, um die Sicherheit der acht Reaktoren zu prüfen, bevor sie die Betriebsgenehmigungen erneuern. Eine der beteiligten Behörden, das „Nuclear Installations Inspectorate“, räumte jetzt jedoch ein, daß diese Frist erheblich verlängert würde, sollten die AtomkraftgegnerInnen gegen die Privatisierung vor Gericht ziehen – woran kaum Zweifel bestehen. Darüber hinaus gestaltet sich die Genehmigung kompliziert, weil die Regierung die alten Magnox-Reaktoren im Eigentum des Staates belassen will – die demnächst fälligen Stillegungskosten in Höhe von rund 25 Milliarden Mark würden potentielle Käufer abschrecken. Das bedeutet, daß in einigen Atomfabriken private und staatliche Reaktoren nebeneinanderstehen.
Die beiden Unternehmen haben einen Anteil von 29 Prozent am britischen Strommarkt, Profite sind also zumindest für die nähere Zukunft gesichert. Langfristig sieht das Bild jedoch anders aus. Die sieben gasgekühlten Reaktoren wurden zwischen den frühen siebziger und späten achtziger Jahren gebaut, ihre Betriebsdauer beträgt 30 bis 35 Jahre. „Die Stillegungen beginnen also zur Jahrhundertwende“, sagt Bob Hawley, der Geschäftsführer von Nuclear Electric, „im Jahr 2020 gibt es vielleicht nur noch einen Reaktor, Sizewell B.“
Die Privatisierung der Atomkraftwerke war schon einmal im Gespräch, doch 1989 ließ die Regierung diese Pläne fallen, weil man keine Rücklagen für Wiederaufarbeitung der Brennstoffe und Stillegungen gemacht hatte. Die Kosten dafür wurden mit neun Milliarden Pfund kalkuliert und sollen durch die Atomsteuer von den VerbraucherInnen aufgebracht werden. Außerdem schrumpfte Nuclear Electric die Belegschaft von 14.400 auf 9.000 ein. Hatte die Firma 1990 noch Verluste von einer Milliarde Pfund – bei zwei Milliarden Umsatz – eingefahren, so schrieb sie im vergangenen Jahr zum erstenmal schwarze Zahlen. Mit der Inbetriebnahme von Sizewell B im Februar dürften die Zahlen für dieses Jahr noch freundlicher aussehen.
So denkt Geschäftsführer Hawley an Expansion: Ihm schwebt ein neuer Druckwasserreaktor in Hinkley Point in der Grafschaft Somerset vor, aber vor allem denkt er an einen neuen Doppelreaktor Sizewell C. Doch die Regierung wird diese Projekte nicht finanzieren, und von privater Seite sind 3,5 Milliarden Pfund für ein AKW auch nicht so schnell zu erwarten. Ironischerweise wird der privatisierten Atomindustrie Anfang des nächsten Jahrhunderts vermutlich gar nichts anderes übrigbleiben, als auf die von den Atommanagern heute noch verteufelten Gaskraftwerke zu setzen, wenn sie überleben will. Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen