„Unsere Art zu feiern“

■ Eine Schulparty am 8. Mai / „Warum denn nicht? Wir sind Freunde.“

„Die Leute sind alle so nett hier, ich kann mir gar nicht vorstellen, daß so etwas in Deutschland passieren konnte.“ „So etwas“ meint das nationalsozialistische Deutschland, den Holocaust und den von Deutschen entfachten Weltkrieg mit mehr als 50 Millionen Opfern. Wer dies sagt, ist der 52jährige Hermann Röben. Der Lehrer aus dem holländischen Hengelo muß fast schreien, denn im Hintergrund dröhnt laute Musik. DJ „Ralph von Richthoven“ heizt die Stimmung an. Im „Modernes“ läuft Bremens erste Jubiläumsparty zum 50jährigen Kriegsende am 8. Mai. Veranstalterin: Die SchülerInnenvertretung des Schulzentrums Walliser Straße.

Wie bitte: eine Party zum Kriegsende? Ja geht denn das? Oder ist dieses Datum für Deutsche nicht eher ein Grund zur Besinnlichkeit und Zurückhaltung? „Wir Jugendlichen haben den Krieg nicht mitgemacht“, erklärt Willeke Molendyh vom niederländischen „Twents MBO College“, und Mitschülerin Debbie Dijkmann fügt hinzu: „Die Unterschiede zwischen Deutschen und Holländern gibt es bei uns eben nicht mehr. Warum sollten wir also nicht zusammen diesen Tag feiern?“

Warum also nicht, meinten nach anfänglichen Bedenken auch die LehrerInnen des Bremer Schulzentrums, nachdem die SV eine Party als ihren Beitrag zum 50. Jahrestag der Kapitulation Deutschlands vorgeschlagen hatte. Und während die Mädchenband „4 for U“ auf die Bühne stürmt, erklärt Schulrektor Jochen Grünwald den „Kompromiss“: „Wir haben uns entschieden, nicht ausschließlich zu feiern. Über die Zeit nach '45 können wir fröhlich sein, doch mit der Zeit vorher müssen wir uns mit Ernst und Verantwortung für unsere Geschichte auseinandersetzen.“

Also hatte es am Vormittag verschiedene Schulprojekte mit ZeitzeugInnen, Filmen und einer zentralen Veranstaltung gegeben, zu der auch bereits die Gäste der Partnerschulen aus Holland, Dänemark und Polen eingeladen wurden. „Für die jungen Leute ist dieser Krieg eine sehr weit entfernte und schwer zu verstehende Geschichte. Fast wie das Mittelalter oder die alten Römer“, meint der Pädagoge aus der 68er-Generation, „Im Unterschied zur heutigen Generation versuchten wir uns dieser Geschichte zu entziehen, indem wir uns nicht als Deutsche, sondern als Weltbürger verstanden. Trotzdem wurden wir im Ausland als Deutsche bespuckt und mußten feststellen, daß wir vor unserer Herkunft nicht weglaufen konnten.“

Eine Stunde nach Einlaß ist die Tanzhalle bereits gut gefüllt. SchülerInnen-Vertreter Alexis Russopulos steht am Eingang: „Es wird richtig voll! Viele haben sich bestimmt aufgeregt, daß wir eine Fete machen, aber ich finde es einfach mutig. Wir feiern ja nicht mit den ausländischen Schülern, um Freundschaft zu spielen. Andersrum: Wir sind Freunde, und das ist ein Grund zum Feiern!“ Allerdings: Verstehen könne er es, wenn Menschen, die diese Zeit miterlebten, in diesem Datum keinen Grund zum Tanzen sehen. Beim Auftritt der Schülergruppe „Trio de Jonglero“ kommt Stimmung auf. Auch Politiklehrer Wolfram Stein ist mitgerissen: „Es ist grandios, daß man sich das erste Mal in Bremen am 8. Mai richtig freut. Wir haben uns das noch nicht getraut. Wir mußten uns noch mit dem Verdrängen und der Rechtfertigung unserer Eltern auseinandersetzen. Die heutige Generation kann zurückblicken und sich uneingeschränkt freuen.“

Das dürfe allerdings nicht bedeuten, einen Schlußstrich unter die Geschichte zu ziehen, meint Schulsprecher Tim Riemer: „Wir wissen, was passiert ist, wollen damit aber anders umgehen.“ Zum Beispiel mit einem Programm, das alle mögen, egal, wo sie geboren wurden. Türkische Folklore, iranische Breakdancer, deutsche Jongleure und ganz einfach viel Musik von Swing bis Techno.

Mit dem Stück „Take Five“ wird die Rede des SchülerInnenvertreters Dennis Junker eingeläutet. „Was ihr gerade gehört habt, war Swing, eine der Wurzeln der Musik, die wir heute mögen. Hätte es den 8. Mai nicht gegeben, oder die Nazis hätten gar gesiegt, dann könnten wir hier heute nicht stehen und tanzen und schon gar nicht so leben, wie wir es tun. Der 8. Mai ist der Geburtstag der Freiheit!“ Applaus.

Dennis weiter: „Zur gleichen Zeit wie wir treffen sich im Rathaus Bürgermeister Wedemeier und der niederländische Ministerpräsident Lubbers zu einer Feierstunde. Das ist gut. Aber es ist besser und für die Völker wichtiger, wenn alle Schüler der Welt heute zusammen tanzen.“ André Hesel