■ Friedenspreis für Annemarie Schimmel
: Relikt eines exotischen Orientalismus

Kein Zweifel, die deutsche Islamwissenschaft hat Annemarie Schimmel viel zu verdanken. Kaum ein männlicher Orientalist ihrer Generation verspürte wie sie den Drang, Wissen und Sprachtalent im begeisterten Gespräch mit Muslimen im Nahen und Mittleren Osten umzusetzen. Kaum einem Fachgelehrten ist es wie ihr gelungen, durch unerschöpfliches Interesse und kompetentes Wissen über die andere Kultur das Bild des imperialistischen Europäers zu korrigieren, das die jahrhundertelange Hegemonie des Westens in der Region geschaffen hat.

Außerdem ist sie eine international hoch angesehene Gelehrte. Mit 19 Jahren hat sie ihren Doktortitel erworben, mit 29 ihre Habilitation abgeschlossen; sie hielt in den fünfziger Jahren Vorlesungen auf türkisch in Ankara; sie liest und spricht fließend Arabisch, Persisch und die wichtigsten Sprachen Nordindiens; sie machte mit ihren Übersetzungen das deutsche Publikum mit mystischer muslimischer Poesie vertraut. Das alles verdient großen Respekt.

Unbenommen ist auch ihr Recht, daß ihr an traditionellen Vorstellungen geschulter Sinn fürs Schöne und Gute vor modernen Werken wie Salman Rushdies „Satanischen Versen“ zurückzuckt, ein Schönheitssinn, der sie übrigens sicher davor bewahrt, so etwas Unappetitliches wie einen Mordaufruf zu billigen.

Nicht erst seit ihren blauäugigen Äußerungen über dieses Werk jedoch wirkt die hochgebildete und schöngeistige alte Dame wie das Relikt einer altmodischen ästhetischen Strömung, die als exotischer Orientalismus vor allem die Gefühle romantischer Künstler und Literaten beflügelte. Annemarie Schimmel hat die politische Geschichte der Kolonialzeit nicht mehr rezipiert, die auf Seiten der Unterlegenen eine erbitterte, oft verzweifelte Suche nach der eigenen Identität mit sich brachte. Moderne Menschen wie Salman Rushdie, die ihre postkoloniale Identität als Kritik der autoritären Traditionen ihrer eigenen Kultur und der rassistischen Herrschaftskultur formulieren, wollte sie nie zur Kenntnis nehmen.

Als Privatperson sei es Annemarie Schimmel natürlich zugestanden, Geschmacksurteile zu fällen. Als Friedenspreisträgerin und Islamwissenschaftlerin öffentlich um Verständnis für die Krokodilstränen muslimischer Fundamentalisten zu werben, bestätigt, was der große arabische Gelehrte Ibn Khaldun sagte: „Von allen Menschen haben Gelehrte am wenigsten Ahnung von Politik und politischen Parteiungen.“ Das ist heute offenbar so richtig wie vor 600 Jahren. Karin Hörner, Verena Klemm

Die Autorinnnen sind Mitarbeiterinnen des Orientalischen Seminars der Universität Hamburg