Schnuppergespräche in Belfast

Erster offizieller Kontakt zwischen britischer Regierung und Sinn Féin in der Hauptstadt Nordirlands / Nach den zahllosen Geheimkontakten nun ein öffentlicher Händedruck  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Zum ersten Mal seit 1972 sind gestern im früheren Regierungssitz von Nordirland, dem Stormont-Schloß in Belfast, Vertreter der britischen Regierung zu offiziellen Gesprächen mit der nationalistischen Sinn Féin zusammengetroffen. Sinn-Féin-Vizepräsident Martin McGuinness sagte, der Gesprächsbeginn beseitige ein weiteres Hindernis auf dem Weg zum Frieden: „Ich hoffe, es war das letzte Hindernis.“

Zwar hat es informelle Treffen zwischen der Regierung und dem politischen Flügel der IRA immer wieder gegeben – sonst wäre der IRA-Waffenstillstand vom vergangenen Jahr nie zustande gekommen. Die längst überfällige offizielle Kontaktaufnahme hatte die britische Regierung allerdings seit Februar immer wieder hinausgezögert. Damals hatte die Sinn- Féin-Delegation in ihrem Beratungszimmer im Schloß Stormont Abhörwanzen entdeckt und die mit britischen Verwaltungsbeamten geführten „Vorgespräche über Gespräche“ abgebrochen. Die Verzögerungstaktik des britischen Premierministers John Major, der die für seine Parlamentsmehrheit wichtigen unionistischen Unterhausabgeordneten nicht verärgern wollte, stellte die Geduld der irischen Regierung und auch die der Sinn-Féin-Anhänger im Norden auf eine harte Probe.

In letzter Zeit wurden die Straßenproteste in Belfast und Derry, der zweitgrößten nordirischen Stadt, immer lauter. Major mußte in der vergangenen Woche sogar eine Stippvisite in Derry abbrechen, als es zu einer Straßenschlacht zwischen Sinn-Féin-AnhängerInnen und der Polizei kam. 17 Männer und eine Frau wurden deswegen gestern angeklagt.

Zwar gaben sich McGuinness und Staatssekretär Michael Ancram, der die britische Delegation leitet, gestern vor laufenden Kameras die Hand – doch konnte das nicht über die tiefe Kluft hinwegtäuschen, die noch überwunden werden muß. Der britischen Regierung geht es vor allem um die Frage der IRA-Waffen, die „ausgemustert“ werden sollen. Sinn Féin will aber auch die Waffen der nordirischen Polizei und der britischen Armee auf die Tagesordnung setzen, was die britische Regierung als Zumutung und Angriff auf die britische Souveränität in Nordirland empfindet.

Gleichbehandlung verlangt McGuinness auch in den geplanten Allparteiengesprächen über die Zukunft Nordirlands, zu denen er auch Sinn Féin eingeladen wissen will. Das lehnen die protestantischen Parteien Nordirlands, die für die weitere Union mit Großbritannien eintreten, rundweg ab. Der Vorsitzende der Ulster Unionist Party, der 74jährige James Molyneaux, machte deutlich, daß er nicht einmal mit denselben britischen Politikern verhandeln werde, die an den Gesprächen mit Sinn Féin beteiligt sind, damit ja nicht der Eindruck entstehe, daß die Unionisten „durch Stellvertreter“ indirekt mit Sinn Féin reden.

Ancram sprach gestern von einer „konstruktiven und dynamischen Entwicklung“ des Friedensprozesses, wies aber noch einmal auf den „Forschungscharakter“ der Kontakte mit Sinn Féin hin: „Wir wollen herausfinden, ob wir uns auf dieselben Grundsatzregeln wie mit den anderen Parteien einigen können. Wir müssen eine ganze Menge übereinander lernen. Wir stecken in einer neuen Situation, die neue Ideen erfordert.“ Ancram sagte, London gehe mit den Parteien Nordirlands unterschiedlich um, weil „die Parteien eine unterschiedliche Geschichte hinter sich“ hätten.

McGuinness hatte schon am Dienstag abend erzählt, man habe Ancram regelrecht an den Verhandlungstisch zerren müssen. Er warnte den Staatssekretär, daß Sinn Féin einen „doppelgleisigen Friedensprozeß“ nicht hinnehmen werde: „Der nationalistische Bevölkerungsteil Nordirlands läßt sich von der britischen Regierung nicht länger als Menschen zweiter Klasse behandeln.“