: Im Spiegel der Vergangenheit
■ Steglitzer Denkmal „Spiegelwand“ zur Erinnerung an die Deportation der jüdischen Bevölkerung aufgestellt / Konflikt ist beigelegt, aber nicht geschlichtet
Nach all dem „Politikhickhack“ ist die Bäckersfrau am Herman- Ehlers-Platz erleichtert: „Gott sei Dank, endlich steht die Spiegelwand.“ Am Dienstag wurde das Denkmal für die von den Nazis deportierten Steglitzer Juden endlich aufgestellt. Noch ist die neun Meter hohe und 3,5 Meter breite Wand gut verpackt, mit weißen Gipsplatten und einer blauen Plane darüber, rundherum ein Bauzaun. Bis zur Einweihung am 11. Juni wird dies auch so bleiben.
Vorbeigehende umrunden trotzdem immer wieder Zaun und Denkmal, suchen nach einer Lücke in der Verpackung. Doch vergebens: Keiner der 2.000 in die Spiegelwand eingravierten Namen der Deportierten ist zu sehen, auch am Bauzaun kein erläuterndes Hinweisschild, was sich hinter den Planen versteckt. Trotzdem, die meisten Steglitzer wissen, an was hier – ein paar Schritte vom Rathaus entfernt – erinnert wird. Vor allem die Älteren. Der Rentner Günter Nethe erinnert sich noch gut an einige Berliner Juden, die bei ihm im Delikateßgeschäft eingekauft haben: „Patente Menschen waren das.“ Mehr weiß er nicht, auch keinen Namen der ehemaligen Kunden. Das Denkmal, so findet er, „sei fehl am Platz“, denn „schließlich haben wir alle genung mitgemacht“. Mit „alle“ meint der Renter vor allem sich selbst. Sein Beitrag für die Zukunft: „Hoffentlich kommt die ganze Scheiße nicht wieder.“ Eine ganz andere Ansicht hat da Monika Koch. Die 70jährige findet es „sehr gut und wichtig“, an das Vergangene zu erinnern.
Der Streit um das Denkmal, der jetzt von den Passanten wiederholt wird, entbrannte, nachdem sich jahrelang eine Mehrheit aus CDU, FDP und „Republikanern“ in der Stadtverordnetenversammlung gegen den Denkmalentwurf der beiden Architekten Wolfgang Göschel und Joachim von Rosenberg aussprachen. Mal war es den Konservativen zu teuer, mal wie dem CDU-Baustadtrat Rene Rögner- Francke zu monumental. Und schließlich eskalierte die Auseinandersetzung so, daß die BVV- Mehrheit im vergangenen Jahr empfahl, von dem ganzen Projekt „ersatzlos Abstand“ zu nehmen. Das war dem Senat so peinlich, daß Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) die Notbremse zog und wegen der überregionalen Bedeutung des Mahnmals die Sache an sich zog. Das Denkmal wird gebaut, so hieß die Weisung.
Geschlichtet hat er den Konflikt aber nicht. Typisch folgende Szene: Zwei Senioren geraten vor dem Bauzaun fast einander in die Haare: Überall müsse gespart werden und hier wird das Geld verpraßt, entzürnt sich der eine. Der andere hingegen kann seine Wut über solche Argumente kaum zügeln. „Noch viel mehr solcher Denkmäler müssen gebaut werden. Wenn man bedenkt, wie viele Tote dieser Wahn gefordert hat, da darf das Geld keine Rolle spielen.“ Eine junge Frau, keine Berlinerin, wie man hört, pflichtet dem Empörten bei. Auch sie hält das Denkmal für eine Selbstverständlichkeit. Daß die Regierenden in Steglitz da anders dachten, weiß sie. „Beschämend.“ Immerhin, wenigstens etwas Gutes habe die Auseinandersetzung gebracht: „Sogar im Schwäbischen wissen die Leute jetzt von der Steglitzer Spiegelwand.“ Holger Heimann
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