Auf sie mit Gebrüll

■ Premiere für Shakespeares „König Cymbeline“: Lautstarke Volksreden und Barfußschlachten

Die Szene könnte aus der Frühzeit des Tonfilms stammen. Schrill klingelt das Telefon, gellt durch die Tonspur des gerade erfundenen Mediums. Kaum steht der Mann mit den weitaufgerissenen Augen neben dem Apperat an der Wand, ahnt man, er wird schreien. Und so kommt es auch.

Aber was im Tonfilm noch charmant wirkt, macht im Theater einen eher hilflosen Eindruck. Bei der als tragikomische Romanze angekündigten „Cymbeline“-Inszenierung soll die Überzeugungsarbeit am Publikum mit erhöhten Phonzahlen erreicht werden. Und wo nicht gebrüllt wird, tritt man an die Rampe, um bis in die letzten Reihen durchzudringen. Ein Unterfangen, das den ganzen Abend über zu ratlosem Kopfschütteln Anlaß gab. Denn das Publikum mag sich amüsieren wollen, aber schwer von Begriff ist es deshalb noch lange nicht.

Nachdem „Perikles“ gerade vor kurzem Premiere hatte, wurde mit „Cymbeline“ die zweite Shakespearsche Romanze im Folge am Theater am Leibinzplatz auf die Bühne gebracht. „Die Sage vom tyrannischen König Cymbeline, von Teufeln, Liebe, Clowns und jungen Prinzen“ nennt Regisseur Pit Holzwarth im Untertitel seine Bearbeitung. Damit ist die Richtung vorgegeben, das Ziel ist die Märchenstunde, in der von Teufeln bis Prinzen alles irgendwie vorkommt, nur ein amüsanter Theaterabend einer tragikomischen Romanze leider nicht. Für die tragischen Stellen fehlt den Figuren die Würde, für eine Romanze mangelt es an emotionaler Grundladung, und die komischen Späße versanden viel zu oft in diffuser Hektik.

Das scheint auch die Schauspieler im Innersten zu bedrücken. Wie wäre es sonst zu erklären, daß sie wieder und wieder an die Bühnenrampe treten und ihren Text frontal ins Publikum hinein deklamieren; eine Theaterform, wie sie zuletzt zur Jahrhundertwende en vogue war. Aber auch wenn es richtig zur Sache geht, bleibt das Bemühen auf der Bühne hilflos. Prinzessin Imogens Verführung ist von der Regie als emotionsstarke Szene angelegt. Als Jachimos (Peter Lüchinger) die schöne Imogen (Birge Schade) zu verführen sucht, wird nicht einmal uns sein Ansinnen deutlich. Jeder tiefe Blick in die Augen wird gleich wieder durch laute Scherze vertrieben. Wo die Schauspieler gar nicht erst ihre Figuren spielen, da kann auch zwischen ihnen kein Funke überspringen. So bleibt der Zünder, mit dem das Feuerwerk der Shakespearschen Überredungskunst entfacht werden sollte, feucht.

Auch sonst gehen die als Klamauk gedachten Szenen nicht auf. Da wird geschrien und gefuchtelt, die Röcke rauschen, und wo im Boulevard-Konzept des Ernst-Waldau-Theaters das Klacken der Pfennigabsätze dazugehört, tapsen die Recken der Shakespeare Company barfuß herum. Volkstheater alternativ.

Langsam scheint es sich allerdings am Leibnizplatz herumgesprochen zu haben, daß nach einem Jahrzehnt reinen Klamauks langsam eine Verjüngungskur nicht schaden könnte. Der Bremer „Cymbeline“ erhofft ein formale Lösung vom No-Theater aus Fernost. Stehen Schlachtszenen an, dominieren auf der Bühne wunderschönen farbenprächtige Kimonos (Kostüm: Heike Neugebauer) Samurai-Schwerter und der strenggebundene Männerzopf. Aber mit den Requisten scheint sich die japanische Theateridee auch schon erschöpft zu haben. Dabei liegen die Chancen in der Nutzung des Theaterraums. Und da könnte die streng ritualisierte Formsprache, die Verbeugungen und Kampfgesten ein Mittel sein, um aus einer fremden Kultur eine Zeichensprache zu importieren. Fernost um, das Formalistische des elisabethanischen Hofstaates auf einer heutigen Bühne sichtbar macht. Doch diese Chance bleibt völlig ungenutzt.

Aber vielleicht sind es nicht nur die formalen Unzulänglichkeiten, die die drei Stunden im Zuschauerraum so in die Länge dehnen. Äußerst selten wird Shakespeares „Cymbeline“ gespielt, gilt es doch als ein Stück mit „strukturellen Schwächen“, in dem der Autor noch mit der Romanzenform herumexperimentiert habe. Das verlangt von der Regie ein besonderes Maß an Erfindungsgabe. Doch wozu sich mit unspielbaren Stücken quälen? Nach zehn Jahren und 22mal Shakespeare muß die Frage erlaubt sein, ob denn wirklich alle 37 hinterlassenen Stücke auf die Bühne gehören. Susanne Raubold

Nächste Vorstellungen: 13. und 14.5., jeweils 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz