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Psychologie vor der Haustür

■ Michael Schmitz, bis 1990 ZDF-Korrespondent in der DDR, las in der Kulturbrauerei den Ostdeutschen über ihren Wendestreß vor und fand bei den meisten wenig Verständnis

Die Frau ist den Tränen nahe. „Es tut mir weh, was Sie hier sagen. Ich kriege 'ne Gänsehaut, wenn Sie immer wieder von einem ,totalitären Regime‘ reden.“ – „Und ich habe immer eine Gänsehaut bekommen, wenn ich von West- nach Ost-Berlin gefahren bin und die Mauer gesehen habe“, antwortet Michael Schmitz. Er läßt sich nicht beeindrucken, und außerdem weiß er, wovon er spricht. Als ZDF- Korrespondent lebte Schmitz von 1988 bis 1990 in der DDR. Er kennt Ostberlin und glaubt, auch die Ostdeutschen zu kennen. Deshalb hat der Psychologe und Journalist jetzt ein Buch über ihren „Wendestreß“ (so auch der Titel) geschrieben und war von Wien, wo er als Korrespondent arbeitet, nach Berlin gereist, um aus dem Buch zu lesen.

Eigentlich wollte er über die psychosozialen Probleme der Einheit schreiben, getan hat er dies nur auf den letzten Seiten. Was er hauptsächlich beschreibt und vorträgt, sind die „Prägungen des totalitäten Regimes“. Einige bekommen Gänsehaut, andere, unempfindlichere Zuhörer schütteln mißbilligend die Köpfe.

Nein, sagen einige, falsch sei es nicht, was Schmitz da geschrieben habe: „Konformität und Anpassung gab es fast überall“, aber die ganze Wahrheit sei das eben auch nicht. Neu ist die Erkenntnis ebenfalls nicht, sondern vielmehr die fast einhellige Meinung der ostdeutschen Psychologen-Elite. Schmitz hat die einzelnen Wissenschaftler zitiert und so einen sehr „raffinierten Text zusammengeschrieben“, wie ein Zuhörer, fast angeekelt von der Methode, einwirft. Von Jens Reich hat Schmitz die sehr ausdrucksstarken Worte abgeschrieben, wonach die Ostdeutschen das Versagersyndrom verinnerlicht hätten.

Ob solcher stalinistischer Prägung sieht Schmitz die Demokratie in Gefahr. Er zitiert Umfragen, wonach nur ein Drittel der Ostdeutschen – aber drei Viertel der Westdeutschen – glaubt, daß wir in der besten aller Gesellschaftsordnungen leben. Die Kurzsichtigkeit des Journalisten sorgt für Verwirrung: „Ist die gesamtdeutsche Parteiendemokratie wirklich der große Wurf? Sind die Menschen im Westen nicht genauso träge wie die im Osten?“ fragt eine Zuhörerin. Weder hier noch da existiere eine wirklich demokratische Gesellschaft. Nun ist Schmitz sauer. Drüben habe man den Mund halten müssen, hier könne man ihn aufmachen.

Die Zuhörer lassen sich nicht zweimal bitten. Zustimmung erfährt Schmitz jedoch kaum. „Sind die Wendesorgen überhaupt ostspezifisch oder nicht vielmehr grundlegende Probleme für Menschen im Umbruch?“ fragt ein Mann. Hier stimmt Schmitz zu und konstruiert das Bild einer umgekehrten Vereinigung. Man stelle sich vor, so Schmitz, die DDR hätte sich den Westen einverleibt. Dann wären die Wessis jetzt die kranken Quartalssäufer.

Schmitz bleibt dann doch lieber bei seinem Buch und der bitteren Realität. In Thüringen hat sich der Journalist umgesehen und viele Wendekranke ausgemacht. Und er hat auch erfahren, daß es zuwenig Therapien gibt. Doch nicht einmal jetzt erntet er Zustimmung. „Warum schreiben Sie so ein Buch?“ fragt ein Mann ganz aufgeregt. „Sie müssen uns die Probleme nicht beschreiben, die existieren tausendfach vor der Haustür.“ Holger Heimann

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