: Für Liebesszenen eignet sich Monet
Das ehemals gefragte Maleratelier der Studios Babelsberg wird derzeit immer weniger gebraucht ■ Von Ute Brandenburger
Bahnhof Babelsberg-Drewitz. Überall wird gebuddelt. Wege sind provosorisch geteert. Gegenüber weist die kupferne „Maschinen- Maria“ aus „Metropolis“ den Besuchern den Weg. Links geht es zur Studiotour Babelsberg, rechts zur Filmproduktion. Das Atelier der Kunstmaler liegt in der Marlene- Dietrich-Halle. Der Weg dorthin führt vorbei an verwahrlosten Garderoben. Drinnen werden gerade die Kulissen für die französische Produktion „Eine Couch in New York“ gezimmert, durch den Türspalt sieht man einen himmelblauen Prospekt.
Das Maleratelier der Studios Babelsberg ist in der Filmbranche einmalig. Von meterhoher Prospektmalerei bis zur Spitzweg-Kopie reicht das Repertoire. Computeranimation und andere Tricktechnik machen den Malern allerdings zunehmend Konkurrenz. „Noch ist die künstlerische Hand aber gefragt“, sagt Chefkunstmaler Alfred Born.
Im Atelier herrscht Chaos. Überall lehnen, liegen, stehen und hängen Gemälde aller Stile und Zeiten. Aus dem Bilderdickicht sticht ein Damenporträt Goyas heraus, weiter hinten sind verschiedene van Goghs zu sehen: Kopien prominenter Meisterwerke, die ihre Rolle schon gespielt haben. Goyas „Maya“ ziert als Pin-up die Sitzecke.
Born erzählt gerne von der Nachkriegszeit. Mit zwanzig Jahren kam er 1956 zu Defa. Der Absolvent der Kunsthochschule Weißensee suchte eine Beschäftigung beim Film, da er sich weder in der SED noch im Verband bildender Künstler organisieren wollte. „Sollte ich etwa Willi Sitte in die Parade fahren? Versuchen, an denen vorbei an Aufträge zu kommen?“ Ohne Mitgliedschaft in Partei und Verband gab es für Künstler keine öffentlichen Aufträge.
„Es gab den freien Kunstmarkt in der DDR gar nicht“, erklärt Born seine Entscheidung, zum Film zu gehen. So fing er bei den Szenenbildnern Erich Zander und Willy Schneider an, lernte, riesige Prospekte zu gestalten. „Für ,Lied der Matrosen‘ (Regie: Kurt Maetzig, 1958) habe ich beispielsweise eine acht mal vier Meter große Vorsatzscheibe mit dem Hamburger Hafen bemalt und gespritzt – mit Kränen, Schiffen, Bauten. In Hamburg hätten wir das ganze Panorma gar nicht drehen können. Das waren alles Trickaufnahmen! Gefilmt wurde dann von der Langen Brücke in Potsdam mit Blick in Richtung Freundschaftsinsel über den schmalen Wasserstreifen der Havel.“ Heute wird seltener im Studio gedreht, Arbeiten dieser Dimension sind selten geworden.
„Die Flexibilität, morgens Höhlenmalerei und mittags Pop-art malen zu können“, macht nach Borns Erfahrung den Kunstmaler aus. Er muß die Fähigkeit besitzen, blitzschnell die Jahrhunderte überspringen zu können. „Eigenbrötler sind im Beruf gescheitert.“ Das Atelier hat dabei seine Arbeitsorganisation den Werkstätten alter Meister nachgemacht. Nicht jeder muß alles malen können. Besonders in Filmen wie „Goya“ oder „Van Gogh“ kommt es darauf an, daß die kopierten Gemälde überzeugen. Wenn die Kamera bis auf dreißig Zentimenter an ein Gemälde heranfährt, „dann müssen die Kopien vorne und hinten stimmen“. Bleibt die Kamera auf Abstand, genüge eine grobe Nachbildung. Bei „El Greco“ und dem „Zubran“ – im Goyafilm zehn Meter von der Kamera entfernt – habe er die Farbe mit einer groben Streichbürste aufgetragen. Für die aktuelle Produktion, eine Liebesgeschichte in einem New Yorker Apartment, muß eine Monet- Attrappe hergestellt werden.
„Der Ansturm auf unsere Qualität hat nach dem Mauerfall nicht stattgefunden“, wundert sich Born. Zu DDR-Zeiten hätten Regisseure wie Bernhard Wicki und Peter Schamoni, von der künstlerischen Kompetenz begeistert, die Babelsberger Studios denen im Westen vorgezogen. Schamoni habe Born sogar für zwei Monate nach Zürich holen wollen. Leider fehlte die Reiseerlaubnis.
Zur Publicity, die Born und seine Kollegen in den letzten fünf Jahren genossen, hat die Ausstellung „Fälscher per Auftrag“ des Filmmuseums Potsdam beigetragen, die seit 1992 mit Gemäldekopien der Defa-Kunstmaler durch Deutschlands Museen tourt. Seit einiger Zeit erhält Born auch zahlreiche Anfragen von Privatkunden. Deren Vorliebe gilt Romantikern wie Caspar David Friedrich, aber auch kopierte Meisterwerke der klassischen Moderne und des Jugendstils stehen bei den neuen Auftraggebern – oft Ärzten und Rechtsanwälten – hoch im Kurs.
Doch wie die Zukunft seiner Kunst aussieht, steht in den Sternen. „Ich möchte solange bleiben, wie das Studio existiert. Aber es wird ja in dieser Form nicht weiterbestehen.“ Von ehemals zwölf Kollegen sind nur noch vier übriggeblieben. Die Älteren wurden pensioniert, die Jüngeren haben sich selbständig gemacht. Vor drei Jahren gingen die Defa-Studios in die von Volker Schlöndorff geführte Studio Babelsberg GmbH über. Seitdem haben sich die Zukunftsaussichten der Filmateliers geringfügig verbessert.
Inzwischen nimmt das Konzept der Medienstadt Babelsberg, das das Gelände neu beleben soll, Gestalt an: Seit Februar dieses Jahres werden auf dem Gelände neue Hallen für Fernsehproduktionen errichtet. „Die Sonne geht auf“, kommentiert Born diese Entwicklung, denn Fernsehproduktionen wie der Pilotfilm zur amerikanischen Science-fiction-Serie „Star Command“ bedeuten Aufträge. Zweckoptimismus eines alten Hasen? Nüchtern konstatiert der Kunstmaler: „Eine ständige Kunstmalerabteilung werden sich die Studios kaum leisten können.“ In Zukunft, vermutet Born, wird die Handarbeit durch Computeranimation ersetzt werden. Die Planungen für ein High-Tech-Center in Babelsberg laufen bereits auf Hochtouren.
Für Reiner Schaper, Leiter der Ausstattung, zu der Szenenbildnerei, Schlosserei, Tischlerei und das Kunstmaleratelier gehören, hat seine Abteilung durchaus eine Zukunft. Er setzt auf Rationalisierung und hofft auf neue Arbeitsfelder wie Messebau, Fernsehen und Bühnenausstattung.
Was Reiner Schaper als neues, marktwirtschaftliches Konzept präsentiert, ist Born so fremd nicht. Hektik und Knatsch gehörten zur täglichen Arbeit beim Film, zusammengearbeitet werde trotzdem. „Die Not, die Freude, der Spaß – diese Vielfalt ist beim Film unnachahmlich“, resümiert Born und wendet sich wieder einem Kollegen zu, der gerade die Skyline von Manhattan pinselt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen