Menem, der große Liebhaber der Macht

Am Sonntag wird in Argentinien ein neuer – oder alter – Präsident gewählt  ■ Aus Buenos Aires Bernd Pickert

Noch eine Empanadita, Zulemita?“ „No“, lächelt die Tochter des Präsidenten Argentiniens mit piepsiger Stimme in die Kamera. „Wie geht's Deiner Mama?“ „Gut, ach, wir alle denken noch so viel an meinen Bruder“, die Stimme der Zulemita wird weinerlich, und Vater Carlos Saul Menem umarmt die 18jährige, setzt sein Beschützergesicht auf, und tätschelt zärtlich die Hand der Tochter.

Seit Menem sich von Ehefrau Zulema getrennt hat, ist Zulemita, die kleine Zulema, die First Lady Argentiniens. Der Tod von Sohn Carlito, dem kleinen Carlos, der vor einigen Monaten bei einem Autounfall ums Leben kam, hat die Nation bewegt – der Präsident war traurig.

Zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl, in der Fernsehsendung „Zum Mittagessen bei Mirtha Legrand“, ist all das zur leeren Geste geworden. Menem beherrscht die Instrumente der publicityträchtigen Personal Story. Für einen Fototermin mit Claudia Schiffer oder Mick Jagger läßt er alles stehen und liegen. Von seiner Gastgeberin Mirtha Legrand, durch deren tägliche Sendung in den letzten drei Tagen alle drei wichtigen Kandidaten der Präsidentschaftswahlen geschleust wurden, hat er nichts zu befürchten – sie gehört zur Oligarchie Argentiniens, zum Hofstaat der Macht.

Wenn sie kritisch fragt, wie das denn sei mit den landesweit offiziell 12 Prozent Arbeitslosen, einem argentinischen Rekord, dann tut sie das mit Augenaufschlag – und der Präsident, der ohnehin selten den Mund richtig aufbekommt, nuschelt zurück, was er schon seit Wochen im Wahlkampf sagt, daß nämlich alle modernen Gesellschaften mit der Arbeitslosigkeit leben müssen, man sehe doch nur nach Deutschland oder nach Frankreich. Da ist er wieder, der Bezugspunkt Europa, dem Argentinien viel näher ist als den lateinamerikanischen Nachbarstaaten – einer der Grundpfeiler des argentinischen Selbstverständnisses, insbesondere in der Hauptstadt Buenos Aires.

Menem, der Sohn syrischer Einwanderer, den alle „el Turco“ nennen, den Türken, versteht es, mit solchen Dingen umzugehen. Dabei lächelt er breit und unbewegt, mit fest im von den nicht mehr ganz so buschigen Koteletten gesäumten Gesicht eingegrabenen Falten – eine glatte Maske der Macht.

Dabei hat Menem einige Grundfeste der argentinischen Politik durcheinandergebracht. Als Peronist ist er angetreten – aber vom paternalistischen Konzept des Peronismus, der den Staat gleichzeitig als wirtschaftlichen Akteur wie auch als notwendiges Verteilungsinstrument ansah, ist nur noch der unumschränkte Glaube an die Macht geblieben.

Tatsächlich war Menems Amtszeit geprägt von fünf Jahren neoliberaler Anpassungspolitik in allen Bereichen. Und das so radikal und mit so wenig Rücksicht auf die sozialen Kosten, wie es nur ein Peronist tun konnte – alle anderen hätten es mit den Peronisten zu tun bekommen. So ist es angesichts der Folgen von verarmter Mittelklasse bis Arbeitslosigkeit, vom radikalem Kaufkraftverlust zur Rekordzahl von Unternehmenskonkursen kein Wunder, daß die große und einst starke, von peronistischer Parteiloyalität geprägte Gewerkschaftsbewegung praktisch darniederliegt – und daß der Peronismus andererseits stärker denn je auf die eigenen Symbole rekurriert.

Am Zeitungskiosk in der zentralen Avenida Corrientes etwa hängen die Fotos von zwei blonden Frauen. Die eine hat lange Haare, ist jung und blickt mit Schlafzimmerblick in die Kamera. Die andere guckt streng, kurze Haare, das Foto ist nachkoloriert. Die erste ist die populäre Xuxa, brasilianische TV-Moderatorin, Showmasterin, Entertainerin und Sängerin, die andere aber ist Eva Peron, Evita. Am 7. Mai wäre sie 76 Jahre alt geworden. – und die Zeitungen waren voll mit Ehrbezeugungen und Einladungen zu Gedenkveranstaltungen zu Ehren Evitas. „Vor ein paar Jahren“, sagt Politikforscher Artemio Lopez, „war das noch nicht so. Heute hat jeder seine Evita, sie hängt überall, alles heißt nach ihr. Aber wenn es drauf ankommt, dann kannst du verschiedene Evitas gegeneinander antreten sehen – und sie werden sich ziemlich die Köpfe einhauen.“ Klar, alle sind Peronisten. „Aber den Peronismus“, sagt Lopez, „versteht man nicht ohne den Satz ' Mir reichts, ich gehe!' Es sind die Abspaltungen, aus denen sich Neues formt, und die den Peronismus in die Lage versetzt haben, sich ständig anzupassen.“

So ist es nur logisch, daß Menem aus den eigenen Reihen Konkurrenz bekommen hat. „Besser Bórdon!“ verkünden tausende Wahlplakate in den Straßen der Hauptstadt, und Jose Octavio Bordon, als Peronist gewählter Senator aus der Provinz Mendoza, ist als Kandidat der Sammlungsbewegung „Front Solidarisches Land“ (Frepaso) derjenige, der Menem am Sonntag unter 45 Prozent halten und vor allem so nahe wie möglich an ihn herankommen soll. Das muß er auch, denn nach dem argentinischen Wahlgesetz, so wie es die Peronisten und die Opposition der Union Civica Radical des Ex-Präsidenten Raul Alfonsin ausgehandelt haben, gewinnt ein Kandidat bereits im ersten Wahlgang, wenn er entweder mehr als 45 Prozent der Stimmen hat oder aber mindestens zehn Prozent Abstand zum nächstfolgenden. „Es wird keine Stichwahl geben, unmöglich“, ist Präsident Menem von seinem Sieg überzeugt. Aber für einen kurzen Moment entgleiten ihm noch immer die Gesichtszüge, wenn nach der „Ballotage“ gefragt wird, dem französischen Wort für Stichwahl. „Ich bin kein Verlierer“, sagt Menem immer wieder, und schüttelt ungläubig und wie verstört den Kopf: Nein, über die Möglichkeit einer Niederlage hat er nie nachgedacht.

Es ist die Arroganz des Präsidenten, die Arroganz der Macht, die jeder Opposition mittlerweile den Hauch eines Zwergenaufstandes gibt. „Um Menem zu schlagen!“ prangt an jeder Hauswand das Wahlplakat der Frepaso – und genau so ist die Frepaso auch gestrickt. Bordon als Rechtsperonisten an der Spitze, Chacho Alvarez als linksperonistischem Kettenhund als Vize und ein buntes Sammelsurium von linken und gemäßigten Parteien und Dissidenten aller Strömungen im Hintergrund, hat sich die Frepaso in den letzten Monaten auf Stimmenklau bei den traditionellen Kräften begeben: Der von Menem geführten „Partido Justicialista“, und der „Union Civica Radical“ des Ex-Präsidenten Raul Alfonsin, die mit Horacio Massaccesi, dem relativ jungen Gouverneur von Rio Negro Mendoza, wohl den blassesten Kandidaten ins Rennen geschickt hat. Daß das Anti-Menem-Bündnis Frepaso dabei kaum mit alternativen Inhalten oder gar einem kohärenten Programm glänzen kann, macht nicht so viel aus – und an der Wirtschaftspolitik, versichert Bordon ein ums andere Mal, werde man ohnehin nichts grundlegendes ändern. „Warum“, fragt Menem in einer Karikatur, „wollen bloß so viele Leute Bordon wählen, wo der doch sagt, er will das gleiche machen wie ich?“ „Die Leute glauben halt“, antwortet sein Berater, „daß alle Politiker lügen.“

Und doch ist es Bordon, der sich als personelle Alternative zu Menem hat aufbauen können. Glaubt man den Umfragen, dann liegt Menem im ersten Wahlgang zwischen 40 und 45 Prozent, Bordon zwischen 30 und 35 und die Radikalen bei rund 15. Ob es aber für Menem reicht, oder ob doch de Stichwahl kommt, da wdersprechen sich die Erhebungen deutlich.

In jedem Fall aber, so scheint es, werden die Radikalen die großen Verlierer des neuen argentinischen Wahlsystems sein. Eine ganze Reihe potentieller UCR- Wähler werden Bordon wählen, um ihre Stimme nicht zu verschenken. Und so gerät denn auch die Abschlußkundgebung der UCR auf der Plaza de Mayo zu einem tragikomischen Akt. Die Radikalen mobilisieren, was sie können. In Reisebussen, in Klein- und Großgruppen kommt ihre Basis zur Plaza. Durch die Reihen laufen Männer und Frauen, die weiß-rote Fähnchen, weiß-rote Anstecker, weiße Mützchen mit rotem Bommel und weiße Hüte mit dem roten Aufdruck „Massaccesi Presidente“ zum Verkauf anbieten. Auch Stirnbänder mit dem Aufdruck „Vorwärts, Radikale!“ sind zu haben – dem alte Refrain der Parteihymne.

Und so kaufen die Frauen über sechzig die Mützchen mit rotem Bommel, die Männer um die 40 die Fahnen und die Jugendlichen zwischen 18 und 25 die Stirnbänder – was alles zusammen einen Flickenteppich in den Farben der Radikalen Partei ergibt, der sich von der Tribüne aus abgefilmt auf den beiden Großbildwänden links und rechts des Rednerpultes recht imposant ausnimmt. Für die jugendliche Basis der Radikalen, die in den Universitäten immer mal wieder die Wahlen unter den StudentInnen gewinnen, scheint auch das Musikprogramm, das mit ohrenbetäubender Lautstärke aus den riesigen Boxen gepustet wird: Die aktuelle CD des argentinischen Rock-Nacional-Stars Fito Paez tönt genauso aus den Lautsprechern wie die in Buenos Aires überaus populären französischen Mano Negra. Und so wirkt das Szenario wie eine Mischung aus Volksfest und Rockkonzert, dem niemand anmerkt, daß hier eine Partei die letzte große Anstrengung unternimmt, bevor sie am Sonntag das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfahren wird.

Das aber wird umso deutlicher, als Ex-Präsident Raul Alfonsin als erster Redner das Wort ergreift. Seine Rede ist fast eine Rechtfertigung dafür, daß die Radikalen überhaupt noch kandidieren. Zur Einheit der Opposition ruft er auf – unter der Vorherrschaft der Radikalen. Das vereinte Volk wird siegen! Und weil das angesichts der Stimmungslage im Land irgendwie peinlich ist, erklärt er auch gleich, warum die UCR trotzdem das Recht hat, dazu aufzurufen: Weil sie die UCR ist, die Union Civica Radical! Immer lauter wird die Stimme des Ex- Präsidenten, immer heftiger der Applaus, die Partei des Präsidenten Hipolito Yrigoyen, die hundertjährige Unin Civica Radical, er selbst, Raul Alfonsin, jawohl, hat schließlich mit dieser Partei 1983 die Militärdiktatur abgelöst und jene Militärs vor Gericht gestellt, die die Menschenrechte verletzt hatten – und die er selbst dann per Schlußstrichgesetz mit wenigen Ausnahmen straffrei stellte, noch bevor die Regierung Menem auch noch die wenigen Verurteilten amnestierte. Aber davon keine Rede, die Menge tobt. „Al-fon-sin, Al- fon-sin!“ schreien tausende von Kehlen, und der zieht jetzt alle Register der Parteiidentität und des argentinischen Allerwelts-Antiimperialismus – von der Forderung an die USA, das Embargo gegen Kuba aufzuheben bis zur erneuten Klarstellung, daß die Malwinen- Inseln – die Falklands – selbstverständlich zu Argentinien gehören bis zur Klarstellung, daß man niemals, niemals! wieder ein Kolonialmachtsgehabe irgendeines anderen Staates akzeptieren werde.

Alfonsin spielt den großen alten Mann des argentinischen Radikalismus – und er spielt ihn überzeugend. Dabei sind es gerade die Hinterlassenschaften seiner Regierung, die Menem heute so trefflich als Argument einsetzen kann, um die Angst vor einem Wechsel zu schüren. Die Hyperinflation aus Alfonsins Amtszeit will niemand – und so kann Menem prächtig Angst schüren, wenn er trotz miserabler Außenhandelsbilanz strikt ablehnt, den an den Dollar gekoppelten Peso abzuwerten: „Abwertung schafft Inflation, nicht mit mir!“ ist der einfache Slogan.

Der Wahlkampf ist zu Ende, die Wahlen haben vor nichts haltgemacht.