„Partei der Macht“ ist ohne Fußvolk

Rußlands Premier Tschernomyrdin gründet die Bewegung „Unser Haus Rußland“ als homogene Vereinigung der Führungselite des Landes / Man spielt ein bißchen Partei  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Ganze siebzehn Tage lagen zwischen dem Gedankenspiel einer Parteigründung und ihrem konstituierenden Kongreß. In Rekordzeit hob Rußlands Premier Viktor Tschernomyrdin einen Wahlblock aus der Taufe, der nun unter dem Label „Unser Haus Rußland“ figuriert und möglichst die anstehenden Wahlen zur Duma im Dezember für sich entscheiden soll. Leitmotiv dieser Gründung ist nach offizieller Lesart die Schaffung eines stabilen Zweiparteiensystems, analog zu den USA. Tschernomyrdins Partei soll die Rechtszentristen vereinen, während Iwan Rybkin, Vorsitzender der Staatsduma und Mitglied der Agrarier, einen linkszentristischen Block ins Leben rufen sollte. So hatte man sich das gedacht, um extremistische Kräfte an beiden Rändern zu isolieren. Präsident Jelzin gab sofort sein Placet. Ob die Rechnung aufgeht, ist mehr als fraglich. Iwan Rybkin konnte bisher für den Gegenblock noch keine maßgeblichen Kräfte gewinnen.

Beim Gründungskongreß der „NDR“ – Unser Haus Rußland – im Moskauer Kinozentrum trafen sich die führenden Köpfe der russischen Reformnomenklatura, unter ihnen auch die neuen russischen Wirtschaftsmagnaten wie Oleg Boikoj, der Vorsitzende des Olbi- Konzerns, der bis zum Jahresende Gaidars Reformpartei „Wahl Rußland“ unterstützt und finanziert hatte. Im Zusammenhang mit der Tschetschenienkrise wechselte er die Seite. Nun gehört er zur „Partei der Macht“ – so wird die NDR landläufig genannt. Denn außer Vertretern der Exekutive und einflußreicher Wirtschaftsunternehmen fehlt ihr noch das erforderliche Fußvolk, das ihren Namen als Partei rechtfertigte.

Wie einmütig die Führungselite denkt, zeigten die Wahlen des Vorsitzenden und seiner Stellvertreter. Viktor Tschernomyrdin wurde ohne Gegenstimme zum Vorsitzenden gekürt. Seine Stellvertreter Oleg Soskowetz und Konstantin Titow nahmen die Delegierten sogar als Paketlösung an. Man spielte ein wenig Partei, nachdem für alle Eventualitäten vorgesorgt worden war. Oleg Soskowetz leitet den Sicherheitsrat Präsident Jelzins. Konstantin Titow regiert die Region Samara. Auffallend viele Gouverneure aus der Provinz hatten sich eingefunden. Ihre Machtstellung, rechnen wohl die Kremlherren, soll den Wahlsieg von „oben nach unten“ vorbereiten. Man scheint darauf zu spekulieren, daß die illustre Gesellschaft andere politische Kräfte allmählich aufsaugt.

Programmatisch hat die NDR nichts überraschendes anzubieten. Tschernomyrdins Auftaktreferat klang wie ein Neuaufguß einer Regierungserklärung. Im Statut ist die Rede von Stabilität und Ordnung, die man ohne „revolutionäre Erdbeben“ anpeilen möchte. Als Prioritäten, denen sich die „Bewegung“ verpflichtet fühlt, nannte Tschernomyrdin „Ehre, Würde und Pflicht“. Selbst wenn der Premier im Wahlvolk über gewisse Anerkennung verfügt, dürften die hehren ethischen Maßstäbe den einfachen Wähler eher zum Schmunzeln bewegen. Auf keinen Fall wird sich Jegor Jawlinsky mit seiner Partei „Jabloko“ der Bewegung anschließen. Jegor Gaidar ließ verlauten, „Wahl Rußland“ könne sich auf Grund gravierender Differenzen nicht auf eine gemeinsame Plattform einlassen. Er nannte die Tschetschenienpolitik, die ausgesetzte Militärreform, das Schwanken im wirtschaftlichen Reformkurs und den aufgeblähten Staatsapparat. Zusammenarbeit in den Provinzen wollte er dagegen nicht ausschließen.