Die SPD mag keine grünen Umwege

■ In Nordrhein-Westfalen kann nur die Wahlmüdigkeit einen SPD-Sieg verhindern

Düsseldorf (taz) – Das ohrenbetäubende Pfeifkonzert der Wuppertaler Autonomen geht dem Kanzler sichtlich auf die Nerven. Selbst das von Helmut Kohl bemühte berühmte Rosa-Luxemburg-Zitat, Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden, zieht bei diesen Linken nicht. So muß Kohl sich einmal mehr der riesigen Verstärkeranlage bedienen, um für den CDU-Spitzenkandidaten zu werben: „Jede Stimme für Helmut Linssen ist auch eine Stimme für mich, mit der sie auch die Bonner Politik unterstützen.“ Ganz ungefährlich sind solche Töne für Kohl nicht, denn es sieht nicht danach aus, als könne die CDU den Sprung aus ihrem 30- Prozent-Turm schaffen.

Ganz andere Sorgen quälen an diesem Abend Johannes Rau, der in Dortmund „zum Endspurt“ aufruft. Wegen der mangelnde Mobilisierung des um 50 Prozent gehandelten SPD-Potentials hat die SPD-Wahlkampfleitung in dieser Woche sogar die „geschenkten“ Wahlwerbezeiten vom Kinderschutzbund zurückerbettelt und auf allen Kanälen für den „Landesvater“ trommeln lassen. Rau sagt zwar in Dortmund noch einmal, daß es „keine grünen Umwege“ zu einer SPD-Regierung gebe, aber öffentlich festgelegt hat er sich gegen Rot-Grün nicht. Auf Joschka Fischers Prognose, Rau werde im Fall der Fälle am Wahlabend schon in den grünen Apfel beißen, kontert er: „Am Sonntag abend ist ein Pils fällig, kein grüner Apfel.“

Auch Fischer griff am Donnerstag noch einmal in den Wahlkampf ein. Bei einer erneuten absoluten SPD-Mehrheit, so die zentrale Botschaft des Bonner Fraktionschefs, drohe das „wichtigste Industrieland“ den ökologischen Umbau zu verschlafen. Auch bundesweit werde dadurch eine Reformperspektive erschwert. Die NRW- Grünen wollen Rot-Grün und stehen, das verkünden die linke Spitzenkandidatin Bärbel Höhn und der Realo-Vormann Michael Vesper unisono, „für ernsthafte Koalitionsverhandlungen zur Verfügung“. Der Landesparteirat bestimmte sogar schon eine „zentrale Verhandlungskommission“, in der die Linken mit fünf zu drei eindeutig den Ton angeben.

Fischer hatte noch Anfang vergangenen Jahres in einem taz-Beitrag den politischen „Sofortismus“ dieser Mehrheit gegeißelt und den Linken vorgeworfen, ihr politischer Erfolg stehe im „umgekehrten Verhältnis“ zu ihrer programmatischen Radikalität. Doch seither ist viel passiert. Den Durchbruch erzielte die Partei bei der Doppelwahl im vergangenen Oktober. Ein gutes Ergebnis für Bonn und ein mit 10,2 Prozent noch besseres bei den Kommunalwahlen katapultierte die Partei auf Wolke sieben. In über 100 der fast 400 Kommunen regieren die Grünen seither mit: Über 80mal an der Seite der Sozis, 24mal im Verein mit der CDU. Selbst Fischer sieht seine härtesten Widersacher inzwischen auf gutem Weg. Tatsächlich hat sich aber an den Machtverhältnissen und der unausgegorenen Programmatik auf Landesebene wenig verändert. Selbst Oberrealo Vesper bekam das unlängst zu spüren. Während Höhn erneut für den bündnisgrünen Länderrat, dem höchten Gremium der Bundespartei zwischen den Parteitagen, nominiert wurde, verlor Vesper sein Mandat — und schwieg. Auch das personell ausgezehrte Realo-Lager, das in der neuen Fraktion erneut mit einer linken Übermacht zu Rande kommen muß, wollte keinen Streit. Wenn die Prognosen nicht völlig trügen, wird die Ernte üppig ausfallen. Walter Jakobs