Bunkerlesung: Theater Leutstetten in der Subbühne

Eine Dame in schwarzem Mantel empfängt uns auf halbem Weg nach unten mit einem Exkurs über das Schlachten und Häuten von Eindringlingen. Mignon René und Michael Hasenfuß von der freien Hamburger Theaterguppe Theater Leutstetten führten mit Texten von Franz Kafka durch den ersten Teil des Abends in der Subbühne, dem ehemaligen Eppendorfer Bunker, in dem diesen Monat täglich ein anderes Programm stattfindet.

Doch die Konzentration auf den Text will sich nicht einstellen, zu neu ist der Ort, zu fremd die Gefühle und Fragen, die in ihm aufsteigen. Hätte ich in diesem Luftschutzraum auch nur fünf Stunden überleben können, inmitten des Geschreis von 400 Kindern und betenden Alten? Hätte ich sitzen können auf dem 15 Zentimeter schmalen Vorsatz auf dem Boden, meinem Gesicht gegenüber eine zweite Reihe kauernder, angstvoller Menschen? Und wie lange hätte ich das ausgehalten?

Im zweiten Teil des Abends dürfen wir sitzen: auf zwei Bankreihen, uns gegenüber. Aus deutschen Märchen liest Harald Maack im Halbdunkel des Kerzenscheins vom armen Holzfäller, der seine 13 Kinder nicht ernähren konnte. Einer der Söhne wird vom Teufel im nadelgespickten Holzfaß zu Tode gerollt. Der nächste bringt seinen Bruder um. Die Mutter zerhackt eine der Töchter mit dem Beil. Eine andere zieht aus, um zu heiraten, und wird vom Mann im finsteren Walde erdrosselt. Und so geht es weiter. Für jeden Toten löscht der in blutrotes Tuch gewandete Inszenator eine Kerze, bis keine mehr übrigbleibt, um den stockfinsteren Bunker zu erhellen. Immer öfter wird seine Erzählung vom Gesang einer Marienfigur (Claudia Gáldy) begleitet. „. . . morgen früh, so Gott will, wirst du wieder geweckt“, hallt die helle Stimme aus der Nebenröhre. Und wenn er es nicht will? Und wenn ich nie mehr aufwache? Deutsche Tradition im Kinderzimmer lebt hier auf, nach der Original-Lesung aus Grimms Märchen wundert einen nichts mehr.

Oben angekommen in der normalen Welt, im Verkehrsrauschen zwischen Mon Marthes Kneipenschild und Borcherts Geburtshaus, sieht Geschichte anders aus. Wie oft ist man hier schon langgefahren, über die Kreuzung Tarpenbekstraße, Ecke Ernst-Thälmann-Platz, vorbei am Gebüsch, in dem sich hinter einer Telefonzelle der Eingang in die Unterwelt hinunterschlängelt. Die Worte von Michael Batz, der mit Gerd Stange fünf Monate lang das Brackwasser aus dieser Höhle schöpfte, klingen noch im Ohr: Hier ist nicht nur ein Bunker aus dem Krieg. Hier liegen zwei unterirdische Röhren, in denen Erleben kondensiert. Gabriele Wittmann