: „Im Exil habe ich mehr Güte gefunden als jemals in Hamburg“
■ Hinweis auf den Journalisten und Verleger Justin Steinfeld, dessen Todestag sich heute zum 25. Mal jährt
„Es ist eine Schande.“ Mit diesem schlichten Satz beginnt der Roman Ein Mann liest Zeitung. Sein Autor heißt Justin Steinfeld. Vor 25 Jahren, am 15. Mai 1970, starb er, verwitwet und zurückgezogen, in Baldock/England. Im Exil also, aus dem der Publizist nie zurückkehrte.
1886 in Kiel geboren, lebte Steinfeld bis zu seiner erzwungenen Emigration in Hamburg. Rutschbahn, Fröbelstraße, Grindelhof und Hallerstraße – es war die Gegend um den Grindel, die er sein Zuhause nannte. Justin Steinfeld war jüdischer Herkunft. Seine Eltern wollten, daß er einen ordentlichen Beruf ergreift. Was liegt in der Hansestadt näher, als Kaufmann zu werden? Doch ihn zog es nicht zu den „Pfeffersäcken“. Seine Interessen galten der Kunst und der Politökonomie. Also wurde er Journalist, Theater- und Literaturkritiker.
1926 konnte er die in Hamburg erscheinende Allgemeine Künstler-Zeitung erwerben, die später den Namen Die Tribüne trug. Diese Halbmonatsschrift für Politik und Kultur war Mitteilungsblatt des „Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller“; in ihr veröffentlichten zahlreiche Hamburger Autoren wie Hans Henny Jahnn und Heinz Liepmann, mit denen Steinfeld auch privat befreundet war. Neben der publizistischen Tätigkeit engagierte er sich politisch. Es waren Organisationen im Umfeld der KPD wie die „Marxistische Arbeiterschule“ oder der „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“, in deren Versammlungen er als Redner auftrat. Mit Hamburger Schauspielern gründete er 1931 das „Kollektiv Hamburger Schauspieler“, dessen zeitkritische Revuen für Schlagzeilen in der Presse sorgten.
Nach dem sogenannten Altonaer Blutsonntag vom 17. Juli 1932, dem provokanten Propagandamarsch von SA und SS durch die Arbeiterwohngebiete Altonas, in dessen Folge zahlreiche Menschen bei Schießereien getötet wurden, leitete Steinfeld den überparteilichen Untersuchungsausschuß. Es ist nicht ohne Pikanterie, daß die damalige Politische Polizei dem Ausschuß eine allzu große jüdische Zusammensetzung vorwarf!
Jüdische Herkunft und politisches Engagement waren offenbar Gründe genug, Justin Steinfeld am 31. März 1933, dem Vorabend des „Judenboykotts“, aus dem Alto-naer Stadttheater zu werfen. Nach kurzer „Schutzhaft“ im berüchtigten „Kolafu“, dem Konzentrationslager Fuhlsbüttel, gelang ihm die Flucht nach Prag. Am 8. Juni 1935 wurde Justin Steinfeld die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Auf der bald daruf veröffentlichten Ausbürgerungsliste standen neben seinem die Namen von Bertolt Brecht, Max Hodann, Heinz Liepmann, Erika Mann, Walter Mehring, Erich Ollenhauer.
In Prag beschattete ihn die Gestapo weiterhin, aber es gelang Steinfeld als einem der wenigen deutschen Emigranten, trotz ökonomischer Schwierigkeiten Fuß zu fassen. Er arbeitete als Theater- und Kulturkorrespondent für die Wochenzeitung Die Wahrheit, daneben für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung sowie weitere deutschsprachige Emigrantenzeitungen. Auf Prag zurückblickend, schrieb er: „Ich habe dort mehr Anerkennung, Freundschaft und Güte gefunden, als jemals in meiner Vaterstadt Hamburg.“
Im März 1939 – deutsche Truppen besetzten Prag – war Steinfeld erneut zur Flucht gezwungen. Gemeinsam mit Frau und Kind durchschwamm er die Weichsel, um über Polen nach England zu fliehen. Nach Kriegsausbruch wurde Steinfeld als enemy alien interniert, zuerst in England, später in Australien. Danach veröffentlichte er nur noch wenig und verdiente seinen Lebensunterhalt zuerst in einer Lederfabrik, nach Kriegsende als Sprachlehrer.
Den Roman Ein Mann liest Zeitung schrieb Steinfeld vermutlich im englischen Exil. Er schildert die Lebenssituation deutsch-jüdischer Emigranten in der Tschechischen Republik vor der deutschen Okkupation. Gleichzeitig ist der Roman autobiographisch, voller Bezüge auf Politik und Kultur im Hamburg der 20er Jahre. Zu Lebzeiten Justin Steinfelds wurde das Buch nicht veröffentlicht. Es erschien 14 Jahre nach dem Tod seines Verfassers im Neuen Malik Verlag in Kiel.
Wilfried Weinke
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