Erzbischöfliche Seidenstrümpfe

■ Nach 23jähriger Restaurierungsarbeit: Erweiterung des Dom-Museums mit wertvollen mittelalterlichen Grabbeigaben

Verglichen mit der 1200jährigen Geschichte des Bremer St. Petri-Doms sind die 23 Jahre, die seit der letzten Dom-Restaurierung vergangen sind, natürlich „peanuts“. Trotzdem dauerte es mehr als zwei Jahrzehnte, bis alle auf Böden, in Kellern und Türmen des Kirchenbaus gefundenen Kostbarkeiten freigelegt, klassifiziert, restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten. Denn das kostet viel Geld. So ist es den Fördermitgliedern der Stiftung Bremer Dom e.V. zu verdanken, daß ab dem kommenden Sonntag neben weiteren wertvollen Exponaten ein Paar seidene Pontifikalstrümpfe in den klimatisierten und abgedunkelten Räumen des erweiterten Dom-Museums zu sehen sind. „Seide überdauert die Jahrhunderte; Leinen oder Leder wären schon zerfallen“, weiß die Kunsthistorikerin Dr. Ingrid Weibezahn, die das Dom-Museum leitet.

Damit die - archäologisch erstrangigen - Grabfunde überhaupt in Bremen gezeigt werden durften und nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit in dunklen Magazinen verdämmern, mußte sich die Stiftung Bremer Dom verpflichten, optimale Bedingungen für die Lagerung der Objekte zu schaffen. Tunika, Mitra, Strümpfe und Handschuhe, allesamt zum bischöflichen Ornat gehörig, lagern gut gesichert, gekühlt und in schonendes Dämmerlicht gehüllt in Glasvitrinen.

Darüber wacht das Stockholmer Historische Textilinstitut, das die mittelalterlichen Grabbeigaben auswertet: „Sofort nach Freilegung wurden die Stoffe in feuchte Schwämme gehüllt, in einen Transporter verladen und umgehend nach Schweden gebracht“, erläutert Hans Henry Lamotte, Vorstand der Dom-Stiftung, das Procedere. Beendet, aber nicht vollendet sei die Dom-Museum-Restaurierung nun, so Lamotte salbungsvoll weiter, mit der erfreulichen Konsequenz, daß Bremen nun „europaweit über eine der bedeutendsten Sammlungen mittelalterlicher Textilien“ verfüge. Über den Befund aus Stockholm (“eine Sensation“) hatte Lamotte auch allen Grund zur Freude. Zumal in einem Dom, dessen Schätze seit den Bilderstürmern der Reformationszeit arg dezimiert worden sind.

Auf der nunmehr verdoppelten Ausstellungsfläche werden aber nicht nur seidene Grabbeigaben und Schmuckstücke präsentiert, die dem Kirchenmuseum den von Lamotte gewünschten „Hauch von Sakralität“ verleihen. „Der Schmerzensmann“, ein Lucas Cranach-Gemälde, das einen zentralen Platz im Museumsanbau einnimmt, tut ein übriges, um die alten - romanischen - Gewölbe mit den neuen - nüchternen - Ausstellungsräumen zu versöhnen. Dort sind auch fünf Apostelfiguren - in Eiche massiv - zu sehen und eine Rubens-Kopie (“Zinsgroschen“), die auf dem Turmboden vergessen und verstaubt war und von der Dom-Stiftung restauriert werden konnte.

„Wir müssen uns freimachen vom Konkurrenzdenken“, fordert Lamotte mit Blick auf auswärtige Bistümer wie Osnabrück und Hildesheim und die Katholische Gemeinde in Bremen, die ebenfalls ihren Anteil an der Realisierung des Museums-Ausbaus hätten. Ganz ohne Vorwurf sei auch sein Hinweis zu verstehen, die Stadt Bremen hätte sich nicht an der Erweiterung des Dom-Museums beteiligt. Und Hans Henry Lamotte wählt noch einmal große Worte, um zu sagen, worum es ihm geht. Nämlich darum, durch Museumsarbeit „Menschen zu bilden und ihren Wunsch und ihr Streben nach Bildung zu fördern“.

Auf diesem Wege ein Stück vorangekommen waren Lamotte und die Stiftung Bremer Dom e.V. bereits in den 80er Jahren. Damals befanden sich an der Stelle des Dom-Museums noch die Bleikammern des Doms. Bei Bauarbeiten für eine Fußbodenheizung wurden zufällig gotische Deckenfresken mit biblischen Motiven in den Kellergewölben entdeckt und restauriert. Grund genug, drei Jahre später, 1987, die Bestimmung der Räume zu ändern, das Dom-Museum einzurichten und die Bleikammern zu verlegen. Ein geschickter Schachzug, wie sich später erwiesen hat: Das Gros der Dom-Besucher kann sich nun über die mumifizierten Bischöfe in den Bleikammern gruseln; und die edle Minderheit der Pontifikatsstrumpf-und Fresko-Begutachter bleibt unter sich. Möglicherweise kommt ja ab dem 21. Mai., dem Tag der Eröffnung des Erweiterungsbaus, der St. Petri-Dom in seiner Bedeutung dem Petersdom wieder ein wenig näher. Schließlich galt Bremen mal als das „Rom des Nordens“.

Alexander Musik