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Hygienemängel als Sparmaßnahme

■ Insassen der Berliner Haftanstalten klagen über schmutzige und beschädigte Wäsche sowie über Marmelade aus dem Kübel / Justizverwaltung bestreitet Einsparungen auf Kosten der Insassen

In Zeiten, in denen man ernsthaft überlegt, Geld als Zahlungsmittel ganz abzuschaffen, weil sowieso kaum noch jemand welches besitzt, bleiben auch die Insassen der Berliner Justizvollzugsanstalten nicht von Einsparungen verschont. Das jedenfalls vermuten die Gefangenen der JVA Tegel. In einem Schreiben an die Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) beklagen Mitglieder der Insassenvertretung der Justizvollzugsanstalt Tegel die unerträglichen hygienischen Zustände.

In dem von rund 180 Häftlingen unterzeichneten Brief beschweren sich die Knackis, daß beispielsweise mehr als die Hälfte der Geschirrtücher nicht nur beschädigt, sondern auch ekelerregend befleckt und somit schlichtweg unbenutzbar seien. Nach Mitteilung der Gefangenen werden auch alte, durchgeschnarchte Bettlaken in Stücke geschnitten, umgenäht und dann als Geschirrtücher ausgehändigt. Ähnlich extrem sei der Zustand der Bettlaken und -bezüge. In ihrem Brief an die Justizsenatorin monieren die Häftlinge, daß die Bettwäsche, sofern sie nicht ohnehin beschädigt ist, aus kaputten Teilen zusammengeflickt ist. Meist passe die Bettwäsche nicht zu der Matratze. Ein Sprecher der Insassenvertretung dazu: „Es geht nicht an, daß die Gefangenen sich als den letzten Dreck empfinden, weil man ihnen auch nur Dreck austeilt.“

Neben dem desolaten Zustand der Wäsche registrieren die Gefangenen auch eine Verschlechterung der Anstaltskost. Die bei Insassen seit jeher umstrittenen Produkte der Knastküche sind nach Auskunft der Betroffenen noch schäbiger geworden. Da selbst der Metamorphose von Rohprodukten in sogenanntes Anstaltsessen natürliche Grenzen gesetzt sind, die selbst kulinarisch ambitionierte Gefängniswärter nicht ohne weiteres überschreiten können, sind die Häftlinge davon überzeugt, daß der Verpflegungssatz gesenkt worden ist. Das mache sich beispielsweise dadurch bemerkbar, daß die vierzehntägige Ration an Marmelade, wie in den sechziger Jahren, neuerdings wieder lose aus dem Kübel verteilt werde.

Davon ist bei der Justizverwaltung jedoch nichts bekannt. Wie die Pressestelle der Senatsverwaltung für Justiz mitteilte, beträgt der derzeitige Verpflegungssatz 6,55 Mark pro Tag und Insasse. Eine Reduzierung des Verpflegungssatzes sei nicht beabsichtigt. Vielmehr werde der Satz jährlich den jeweiligen Preissteigerungsraten angepaßt. Uta Fölste, Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Justiz: „Die Abschaffung von überflüssigem Verpackungsmaterial, also auch von Marmeladengläsern, wurde aus Umweltschutzgründen abgeschafft.“ Peter Lerch

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