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Gegen den Staat: Sieg im Volkskrieg!

Unter Berufung auf die amerikanischen Freiheitskriege blasen US-Rechtsradikale zur „permanenten Revolution“  ■ Von Andrea Böhm

Es ist derzeit nicht ganz ungefährlich, bei der US-amerikanischen Steuerbehörde zu arbeiten. Steuern sind in den Augen so mancher Bürger ein Indiz für zunehmend diktatorische Kontrolle durch den Staat. Das mag die 44 Bombendrohungen erklären, die der „Internal Revenue Service“ im letzten Jahr erhalten hat – und die zwei Bomben, die gefunden und rechtzeitig entschärft wurden.

Noch gefährlicher lebt, wer sein Brot beim „Bureau for Alcohol, Tobacco and Firearms“ (ATF) verdient, das für die Einhaltung der Waffengesetze zuständig ist – und in dieser Eigenschaft ab und an einige der rund 200 Millionen Schußwaffen konfisziert, die in den USA im Umlauf sind. Empörte Waffenbesitzer in Pennsylvania klebten jüngst Steckbriefe an Telefonmasten: „10.000 Dollar für jeden toten ATF-Beamten.“

Aber wer sollte etwas gegen Förster haben? Drei Wochen vor dem Bombenanschlag in Oklahoma City am 19. April explodierte ein Sprengsatz im Büro des „National Forest Service“ in Carson City im Bundesstaat Nevada. Die Fenster gingen zu Bruch, innen riß der Sprengsatz ein Loch; die Mitarbeiter der Bundesforstverwaltung kamen mit dem Schrecken davon. Niemand nahm von dem Vorfall Notiz – außer der Lokalpresse und dem FBI.

Ein Blick auf die FBI-Statistiken zeigt, daß Bombenanschläge in den USA alltäglich sind: Wurden 1983 noch 442 versuchte oder durchgeführte Bombenattentate in den USA gemeldet, so stieg die Zahl zehn Jahre später auf 1.881 Anschläge, bei denen 49 Menschen getötet und 1.227 verletzt wurden – die meisten bei der Bombenexplosion im New Yorker „World Trade Center“. Zumeist wird als Motiv „Vandalismus“ oder „Rache“ vermutet, nur bei einem Prozent „politischer Protest“.

Der in doppelter Hinsicht explosionsartige Anstieg reflektiert eine relativ neue Tendenz, die das US- Nachrichtenmagazin Time unlängst als „Amerikas Bombenkultur“ beschrieb. Dubiose Verlage und Versandfirmen haben in den letzten Jahren saftige Profite mit dem Verkauf von Anleitungen zum Basteln von Bomben gemacht – angefangen von Handbüchern der Armee über „anarchistische Kochbücher“ bis zum Multimediapaket aus Broschüren und Videobändern und Kassetten, das die rechtsradikale Miliz des Bundesstaates Montana für 75 Dollar vertreibt. Der Inhalt: Anleitungen zum Bau von Bomben und Landminen, Tips für Sabotageaktionen gegen Regierungseinrichtungen und für die Hinrichtung von Bundesbeamten und Regierungsmitgliedern.

In vielen Bundesstaaten der USA ist es nicht nur legal, sondern auch relativ einfach, eine Privatarmee zu gründen und bis an die Zähne zu bewaffnen. Das Phänomen als solches ist nicht neu. Bewaffnete Bürgerwehren und ihre Verschwörungstheorien über die Bedrohung der Freiheit Amerikas tauchen in der Geschichte des Landes immer wieder auf. Ende des 18. Jahrhunderts wurden Freimaurer beschuldigt, die USA zu einer ideologischen Kolonie der französischen Aufklärungsphilosophie zu machen. Im 20. Jahrhundert machte der Ku-Klux-Klan mit seinen Haßtiraden gegen Schwarze, Juden und Katholiken von sich reden. Vor allem die Zuwanderung von Katholiken aus Irland und Italien wurde als Indiz für eine herannahende papistische Machtübernahme gesehen. In den 50er Jahren kam die konspirative „John-Birch- Society“ zu zweifelhaftem Ruhm, als sie Fluor im Trinkwasser als Indiz für einen kommunistischen Großangriff ansah. Was der US- Historiker Richard Hofstadter als den „paranoiden Stil“ in der amerikanischen Politik beschreibt, fand immer seine Entsprechung im politischen „mainstream“: in den 20er Jahren durch restriktive Einwanderungsgesetze, in den 50er Jahren durch die Hexenjagd auf Linke und Liberale im Rahmen der McCarthy-Anhörungen.

Heute repräsentieren die Bürgermilizen diesen „paranoiden Stil“. Im Dickicht der verschiedenen Verschwörungstheorien kristallisieren sich immer wieder ein paar Hauptgegner heraus: die UNO, die russische Armee, Interpol, die Trilaterale Kommission, die Juden – sie alle sollen auf die Diktatur einer „Neuen Weltordnung“ hin arbeiten, in der Amerikaner ihrer Grundrechte beraubt und in Konzentrationslager gesteckt werden. Am Ende, so der in vielen Milizen verbreitete Glaube, werde jedem Bürger ein Mikrochip unter die Stirnhaut transplantiert.

Unbestrittener Todfeind aber ist der Staat im allgemeinen und die US-Bundesregierung im besonderen. Die Milizionäre in Michigan, Montana, Nevada oder Florida stellen sich in die Tradition der amerikanischen Revolution. Der Feind ist der Staat – dieses Mal nicht mehr in Gestalt der britischen Kolonialmacht und ihrer Soldaten, sondern der Bundesregierung und ihrer Beamten. Der historische Fakt der Revolution legitimiert in ihren Augen die permanente Rebellion gegen staatliche Institutionen.

Das erklärt auch, warum die Bundesförster in Nye County, Nevada, seit Monaten in Angst leben. Denn Kontrolle über Land ist gerade in den westlichen Bundesstaaten, wo der Anteil bundeseigenen Landes besonders hoch ist und die Miliz-Bewegung besonders schnell Fuß gefaßt hat, ein zentraler Streitpunkt: Jede Zugangsbeschränkung für lokale Rancher und Farmer, jede Maßnahme zum Schutz des Wild- oder Fischbestandes, jedes Umweltschutzgesetz aus Washington gilt als weiteres Glied in der Kette, die die Bundesregierung um den Hals freier Bürger schmiedet.

150 Milizen in 22 Staaten hat das „Southern Poverty Law Center“, eine Bürgerrechtsorganisation mit 20 Jahren Erfahrung in der Beobachtung und Bekämpfung rechtsradikaler Organisationen, registriert. Schätzungen über Mitgliedszahlen schwanken zwischen 10.000 und 40.000. „Nach unseren Ermittlungen“, erklärte Direktor Morris Dees bei einer Senatsanhörung über Terrorismus in den USA, „haben mindestens 36 dieser Gruppen Verbindungen zu rassistischen Organisationen“. Im US- Bundesstaat Montana, dessen „Militia of Montana“ zu den größten des Landes gehört, „kooperieren Milizionäre und weiße Suprematisten der Aryan Nation“, sagt Lynn Davis, Mitarbeiterin des „Montana Human Rights Network“, einer Bürgerorganisation, die sich aus Protest gegen die wachsende rechtsradikale Szene gebildet hat.

In einem Punkt allerdings liegen sich Milizionäre auf der einen und Neonazis auf der anderen Seite über Kreuz: Während letztere Adolf Hitler und das „Dritte Reich“ preisen, ist Nazi-Deutschland die Schreckensvision der Milizionäre und ein auch von der Waffenlobby gern benutztes Argument. Eines der beliebtesten Propagandaplakate für das Recht auf Waffenbesitz ist ein Foto von Adolf Hitler, den Arm zum Deutschen Gruß erhoben, mit der Unterschrift: „Wer für Waffenkontrolle ist, der hebe den rechten Arm.“

Doch zweifellos verbindet Milizionäre, Suprematisten und Neo- Nazis mehr, als sie trennt. Was sie eint, ist die Wut auf einen Staat, der in ihren Augen in den letzten Jahrzehnten alles in Frage gestellt hat, was ihre gesellschaftliche Position als weiße Männer ausmachte: „Wer anders als die Bundesregierung“, so der Sozialwissenschaftler Chip Berlet, „hat sie gezwungen, sich mit Schwarzen gemeinsam an Restauranttische zu setzen, homosexuelle Lehrer zu akzeptieren, auf dem Arbeitsmarkt Frauen Platz zu machen.“

Wie in den 20er und 50er Jahren findet auch der „paranoide Stil“ der heutigen Milizenbewegung seine Entsprechung in der etablierten Politik. Gemeint ist hier nicht nur die „National Rifle Association“, die in Rundbriefen an ihre 3,5 Millionen Mitglieder ATF-Beamte als „verbrecherische Stiefelknechte in Nazi-Helmen“ tituliert hat, oder erzkonservative Moderatoren von Radio-Talkshows, die, wie Rush Limbaugh, Frauenrechtlerinnen als „Femi-Nazis“ beschimpfen. Gemeint ist auch die Rhetorik von Newt Gingrich, Sprecher des US-Repräsentantenhauses und selbsterklärter Führer einer „republikanischen Revolution“, der im letzten Wahlkampf die Bundesregierung als „Feind des Volkes“ und Beamte der Bundesbehörden als „sozialistische Bürokraten“ bezeichnete. Gingrichs Parteikollege und Wahlkampftrommler Rush Limbaugh kündigte vor zwei Monaten in seiner Radio-Talkshow „die zweite gewaltsame Revolution in Amerika“ an – initiiert von Bürgern, die „die Schnauze voll haben von Washingtoner Bürokraten, die ihnen vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben.“

Die tragische Ironie des Bombenanschlages auf das Bürohaus in Oklahoma City, bei dem die Täter offenbar so viele Regierungsangestellte wie möglich treffen wollten, besteht darin, daß aus den verteufelten, gesichtslosen Bürokraten blutende, weinende Menschen wurden, mit denen die Nation sympathisierte. In einer ganzseitigen Anzeige in der New York Times appellierte die US-Gewerkschaft für den Öffentlichen Dienst: „Die Menschen, die für die Regierung arbeiten, sind das Gesicht Amerikas ... Wenn Sie das nächste Mal Zeuge werden, wie jemand gegen den Staat und seine Angestellten hetzt, dann schreiten Sie ein. Das ist unsere Regierung.“

Zumindest in Montana ist dies angekommen. „Hier hat sich“, berichtet Lynn Davis vom „Montana Human Rights Network“ mit dem Stolz der Lokalpatriotin, „eine richtige Basisbewegung gegen die Milizen gebildet.“ Gemeinden unterzeichnen Resolutionen, in denen sich die Bürger hinter Vertreter staatlicher Behörden stellen – seien es Staatsanwälte, Sheriffs, Bundesbeamte oder Politiker – die Todesdrohungen von Milizionären erhalten haben.

Auch Davis zählt zum gefährdeten Personenkreis: Sie ist Stadträtin in Billings. Die Polizei hat ihr schon mehrfach nahegelegt, außerhalb des Hauses eine kugelsichere Weste zu tragen. Bislang hat sie dankend abgelehnt: „Wo kommen wir denn da hin. Dies ist schließlich Montana.“

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