Zuwenig Zeit für Sterbende

■ „Sitzwachen“ sollen Sterbende in Altersheimen begleiten und Angehörige betreuen

„Sterbende werden fast immer allein gelassen. Die Angehörigen bitten um einen Anruf, wenn alles vorbei ist - aber kaum jemand sagt, ich bleibe heute nacht bei meiner Mutter.“ Elli Riemschneider ist Pflegedienstleiterin des Alten- und Pflegeheims Ilsabeen der Bremer Heimstifung. „Der Tod richtet sich nicht nach dem Dienstplan“, sagt sie. „Wir tun zwar unser möglichstes, aber wenn nur zwei Schwestern Nachtwache haben, ist oft einfach keine Zeit, um sich an das Bett eines Sterbenden setzen.“

Abhilfe soll jetzt das Projekt „Sitzwachengruppen“ schaffen, das die Bremer Hospiz-Hilfe in Zusammenarbeit mit der Bremer Heimstiftung organisiert. In den letzten vier Jahren hat die Hospiz-Hilfe rund 95 MitarbeiterInnen ausgebildet, die Sterbende ehrenamtlich in deren Wohnungen betreuen. Neu ist, daß die SterbebegleiterInnen künftig auch in Alten- und Pflegeheimen eingesetzt werden sollen. Bei diesem Projekt kümmert sich die Hospiz-Hilfe um Inhalte und Ausbildung, die Kosten trägt die Bremer Heimstiftung.

„Das ist eine Kooperation, mit der ich leben kann“, sagt Pastor Dieter Tunkel, Mitbegründer der Hospiz-Hilfe. Tunkel, mittlerweile auch Hospiz-Beauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche, hatte bislang Bauchschmerzen bei dem Gedanken an den Schulterschluß mit einer städtischen Einrichtung. „Die Altenheime setzen unsere ehrenamtlichen SterbebegleiterInnen ein. Sie zahlen aber weder Ausbildung noch Lohn, tuen was für ihr Image und sparen sogar noch Personal ein“, bringt er seine Befürchtungen auf den Punkt.

Deshalb will er die Stellenbesetzung jener Heime, in denen künftig die ehrenamtlichen HelferInnen eingesetzt werden, genau im Auge behalten. „Wir wollen auf jeden Fall verhindern, daß durch ehrenamtliche MitarbeiterInnen Arbeitsplätze wegrationalisiert werden“, sagt Tunkel. „Die SterbebegleiterInnen sollen vor allem zuhören oder einfach nur dasein. Sie sollen das Personal entlasten - nicht ersetzen“, umreißt er das Konzept. Nach den Sommerferien wird der Pastor gemeinsam mit einer Psychologin in einem Seminar SterbegleiterInnen ausbilden.

Denn bevor sich die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen an das Bett eines oder einer Sterbenden setzen, sollen sie im Seminar auf ihre Aufgabe vorbereitet werden: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, der Umgang mit Angehörigen, steht ebenso auf dem Unterrichtsplan wie einfache pflegerische Handgriffe. Nach der Ausbildung sollen die ehrenamtlichen HelferInnen zunächst in drei Altenheime in Bremen-Nord eingesetzt werden - später im ganz ganzen Stadtgebiet. „Wir werden allerdings nicht reagieren, wenn HeimleiterInnen anrufen und einfach einen ganzen Kurs anfordern“, betont Tunkel. „Nur wenn die Angehörigen oder ein Sterbenskranker an uns herantritt, schicken wir jemanden vorbei.“

Von dem Einsatz hauptberuflicher SterbebegleiterInnen hält er nicht viel: „Ich sehe die Gefahr, daß die Leute dann abstumpfen und ein amputiertes Dasein führen. Ich finde es deshalb besser, wenn jemand Sterbebegleiter wird, der nicht aus der Pflege oder einem ähnlichen Beruf kommt.“ Deshalb will er gerade Leute aus völlig anderen Berufen motivieren, sich für das Seminar anzumelden. „Einfühlungsvermögen sollten die Kursteilnehmer mitbringen. Sie sollten Ruhe ausstrahlen und Leid aushalten können“, beschreibt Tunkel die geeigneten KandidatInnen. Toleranz ist unverzichtbar. „Ich habe einen Sterbebegleiter erlebt, für den war es das höchste Ziel, mit Ungläubigen das Vaterunser zu beten. Es kann aber nicht darum gehen, jemanden zu bekehren - Sterbebegleitung ist konfessionslos.“ Interessierte sollten bereit sein, mindestens ein Jahr an dem Projekt mitzuarbeiten und neben dem Seminar auch Fortbildungskurse zu besuchen. KS

Anmeldungen für den Sitzwachenkurs nimmt ab sofort die Bremer Hospiz-Hilfe vormittags unter Tel.: 66 06 15 31 und nachmittags unter Tel.: 32 40 00 entgegen.